Gerd Heydn im Gespräch mit Wilfried Elshoff

Vom Banker zum Diakon – das hat ja fast schon einen Hauch von Saulus, der zum Paulus wird. Ein krasser Umschwung in Ihrem Leben. Wie kam es dazu?

„Na, der Vergleich ist wohl ein wenig überzogen. Ein gläubiger Mensch war ich eigentlich von Kindes Beinen an, so auch in meinem Elternhaus katholisch erzogen. Ich glaube, ich war immer schon ein Suchender in meinem Leben. Und ich habe immer schon eine Glaubensverbundenheit, vielleicht auch einen besonderen Blick für das Seelenleben der Menschen in mir gespürt. Auch meine Eltern hätten für mich erkennen können, dass meine Liebe in den seelsorgerischen Bereich ging. Aber in einer Familie mit vier Kindern musste jeder Einzelne funktionieren. Der Einzelne zählte da nicht so sehr. Meine Familie ist damals mit dem Strom der Zeit geschwommen, Sicherheitsdenken war angesagt. Speziell bei der Berufswahl. Und in diesem Sinne hatte meine Mutter nach dem Abitur gesagt: Mach Banker! Sicherheit, Geld verdienen, etwas werden…“

Und so sind Sie dann in die ganz normale berufliche Laufbahn ‚hineingeschliddert‘, ohne es eigentlich wirklich zu wollen.

„Natürlich hätte ich mein Leben viel früher selbst in die Hand nehmen können. Das weiß ich heute. Aber ich bin in meinem Elternhaus nicht gerade zu einem selbstbewussten Menschen erzogen worden. Und so ein typischer Banker, wie man ihn ja kennt, war ich eigentlich auch nie. Stand für mich doch der Mensch auch als Banker immer im Mittelpunkt. Und trotzdem habe ich meinen Job – zumindest bis auf die letzten Jahre – gern gemacht. Eine schleichende Veränderung in meinem Berufsleben trat dann seit ca. 2005 ein, als sich die Arbeitsstrukturen hin zu einem Überbau an Controlling und dadurch auch das Arbeitsklima in unserer Bank veränderten. In der Endphase meiner Bank-Laufbahn fühlte ich fast täglich eine gewisse Ohnmacht und wusste nicht, wie ich den Arbeitstag hinter mich bringen sollte. Die Arbeit bestand zum damaligen Zeitpunkt zu rund 70 Prozent aus Administration und Systempflege. Dahinter stand, den Arbeitsplatz von Menschen austauschbar zu machen. Ich wollte aber als Mensch gefragt sein.“

Welche Rolle spielte Gott in dem schleichenden Prozess Ihrer Selbstfindung?

„Als ich immer stärker nach einer Lösung meines Problems suchte, wuchs mir auch mehr und mehr der Glaube als bewegende Kraft zu. Mein Glaube war über die Jahre ziemlich verflacht gewesen, der Kirche stand ich eher fern gegenüber. Eine schnelle Veränderung durch Gott verspürte ich nicht, obwohl ich mich doch intensiv im Gebet mit Gott befand. Die trat erst 2009 durch den Tod meines Schwagers mit 52 Jahren ein. Mein Schwager war konfessionslos, und daher sollte es für ihn auch keinen Priester zur Beerdigung geben. Das fand ich absolut würdelos. „Dann mach ich das!“, entschied ich in dieser Situation kurz entschlossen. Und bei der Beerdigungsfeier wurde mir schlagartig bewusst: „Das ist meine Berufung! Es fühlt sich richtig an. Ich war plötzlich ganz bei mir – und ich wusste: ich werde Diakon! Seelsorge ist der Grund, warum ich Diakon werden will. Aber ich wusste zu jenem Zeitpunkt gar nicht, was für Aufgaben ein Diakon überhaupt hat, geschweige denn, was er vorab alles lernen muss. Aber das war in dem Moment auch nicht wichtig für mich.“

Wie haben Sie dann Ihren Weg in diesen neuen beruflichen Lebensabschnitt eingeschlagen, Ihre eigentliche Berufung in die Tat umgesetzt?

„Mein Entschluss ist dann ein paar Monate gereift. Ende 2010 habe ich bei meiner Bank gekündigt, ohne Sicherheit für meinen neuen Lebensabschnitt. Wie ich erfahren musste, kann man Diakon eigentlich nur bis zum 50. Lebensjahr werden und muss neben der Ausbildung noch einen Zivilberuf ausüben. Diakon mit Zivilberuf ist das Berufsbild eben. Ich aber war schon im 51. Lebensjahr und hatte keinen Zivilberuf mehr. Also schrieb ich kurzentschlossen und frohen Mutes einen Brief an den damaligen Aachener Bischof Dr. Heinrich Mussinghoff, in dem ich meine Begeisterung und Freude für den seelsorglichen Dienst an den Menschen zum Ausdruck gebracht habe. Der Bischof antwortete dann auch sehr freundlich in einem persönlichen Brief, in dem er mich willkommen hieß ‚im Klub der Diakon-Anwärter bei so viel Begeisterung‘. Der Startschuss in mein neues Leben!“

Aber einen neuen Zivilberuf haben Sie nicht zusätzlich angenommen, oder kann man als Diakon auch seinen Lebensunterhalt verdienen?

„Nein, als Diakon mit Zivilberuf ist man im Bistum Aachen finanziell auf seinen Hauptberuf angewiesen. Ich erhalte für meine Tätigkeit eine kleine Unkostenpauschale. Aber finanziell hat sich schon vorab, aber auch durch entsprechende Abfindung der Commerzbank alles so gefügt, dass es passt. Daneben ist meine Frau Annette als Sekretärin beim Jüchener Bürgermeister Harald Zillekens tätig. Meine Frau ist mit einer ihr eigenen Selbstverständlichkeit ein gottgläubiger Mensch. Sie hat meine Entscheidung voll mitgetragen, also auch den Gehaltverzicht. ‚Wenn ich Dein Strahlen im Gesicht sehe, wenn Du über den Diakon sprichst, kann ich doch gar nicht anders als Deine Entscheidung mit zu tragen!‘ Diakon sein ist meine neue Aufgabe, mein Kind sozusagen. Ich möchte das jetzt auch leben, was ich predige. Ich versuche zumindest dem nahe zu kommen. Und wenn unser neuer Bischof Dr. Helmut Dieser den Diakonberuf wieder hin zur Hauptberuflichkeit öffnet, würde ich mich sehr freuen, mit ganzer Seele und all‘ meiner Zeit, also hauptberuflich mein Diakonenamt ausüben zu können. Bis heute hat Gott alles so gefügt, dass es für mich passt. Und es ist gut so!“

Ihre Visitenkarte ziert ein Spruch von Bernhard von Clairvaux, im 12. Jahrhundert Gründer einer Zisterzienser Abtei in Clairvaux/Frankreich: ‚Geh Deinem Gott entgegen bis zu Dir selbst!‘ Was bedeutet dieser Satz für Sie?

„Der sagt mir: Je mehr ich bei mir bin, je näher bin ich bei Gott. Ich nehme die neue Herausforderung an, bin in meinem neuen Leben als Diakon angekommen, mit all‘ meinen Unzulänglichkeiten. Jeder Mensch hat seine Macken. Die Berufung ist zu meinem Lebensinhalt und zu einer neuen Kraft geworden. Hier finde ich auch die Anerkennung, die vielleicht früher in meinem Elternhaus hier und da zu kurz gekommen ist. Heute bin ich wieder als Mensch gefragt, dafür bin ich Gott so dankbar! Als Diakon begegne ich Menschen hautnah beim ‚Bibel teilen‘, bei den Vorbereitungsgesprächen sowie anschließenden Taufen, Hochzeiten, aber auch Beerdigungen, in der Altenseelsorge und auch durch Predigten in diversen Gottesdiensten.“

Ihren Abschied als Bankkaufmann haben Sie nie bereut?

„Nein, ganz im Gegenteil. Zwei Jahre nach meiner Kündigung bei der Bank habe ich meinen ehemaligen Chef wiedergetroffen, der mir das Leben in meinen letzten Banker-Jahren nicht gerade einfach gemacht hat. Den Anlass habe ich genutzt, um mich ausdrücklich bei ihm zu bedanken, dass er eben genau so war, wie er damals in der Endphase zu mir war. Denn sonst hätte ich mir den Ausstieg vielleicht gar nicht zugetraut. Er hat meine Worte in meinem Sinne wohl verstanden, ohne dass es weiterer Erklärungen bedurft hätte. In meinem Leben habe ich eben gelernt, aus den negativen Verhaltensweisen oder Aussagen anderer Menschen die richtigen und positiven Schlüsse für mein Leben zu ziehen. Mein alter Chef hat mich also gestärkt auf meinem Weg.“

Ihre Vorstellung für Ihre persönliche Zukunft als Diakon?

„Für mich ist es wichtig, als Gesprächspartner in persönlichen Glaubensfragen und als überzeugendes Mitglied der katholischen Kirche wahrgenommen zu werden, für Menschen in Krisensituationen da zu sein und den Glauben als Hilfestellung und Kraftquelle für die Menschen zu vermitteln. Die Wurzeln für unseren Glauben liegen in der Bibel. Das haben wir Katholiken ein wenig aus den Augen verloren. Und mit Bezug auf die Bibel als Quelle unserer Geisteskraft müssen wir meines Erachtens neue Wege für die katholische Kirche finden. Die Zukunft wird vielmehr in kleinen christlichen Gemeinschaften in der Nachbarschaft liegen – mehr als in der großen traditionellen Kirchengemeinde. Wir müssen neue Netzwerke bilden, zum Beispiel in Form von einzelnen Bibelgesprächsgruppen, die sich über die herkömmliche Pfarrgemeindestruktur förmlich wie ein Netz verteilen. Unsere evangelischen Freunde in Kelzenberg sind da schon ein ganzes Stück weiter! Und Spiritualität und Seelsorge gehören für mich unbedingt zusammen. Spiritualität ist wichtig: Gott ist und bleibt Geheimnis. Gott ist die Kraft, die Chance für unser Leben. Gott ist nicht fassbar. Er bleibt ein Rätsel, ein Mysterium. Er entzieht sich unserer Verfügbarkeit. Das Geheimnis ist das, was Gott in seiner Weisheit ausmacht. In meinen persönlichen Krisensituationen war Jesus auf Anhieb auch nicht erkennbar für mich. Aber im Nachhinein, aus heutiger Sicht weiß ich, Jesus hat mich ganz konkret auf meinem Weg geführt. Heute erkenne ich das. Und ich spüre es mit einer großen Dankbarkeit!“

Unsere Tochter wurde mit einem Herzfehler geboren, der operativ korrigiert werden musste, als sie sechs Monate alt war. Wir hatten uns eine Kinderklinik gesucht, die auf Herzfehler spezialisiert ist. Während unseres Aufenthaltes in dieser Klinik haben wir Eltern mit ihren zum Teil sehr kranken Kindern kennengelernt. Da waren kleine Babys mit schweren Herzfehlen, die keine hohe Lebenserwartung hatten und bei denen die Ärzte mit aller Erfahrung und den medizinischen Möglichkeiten nicht wesentlich mehr ausrichten konnten, als das Leben ein wenig zu verlängern. Es war echt schmerzhaft, das Leiden dieser Kinder und ihrer Eltern zu erleben. Warum lässt Gott so etwas zu?

Ich habe ein Schicksal von einer Flüchtlingsfamilie gehört, welches mich sehr getroffen hat: Ein Vater, dessen Ehefrau von Terroristen getötet worden war, flüchtete mit seiner wenige Monate alten Tochter und seinem Sohn. Er konnte einen Platz auf einem Boot bekommen. Sie mussten in der Nacht ins Boot steigen, um möglichst unbemerkt losfahren zu können. Seine kleine Tochter begann zu schreien und weil er sie nicht beruhigen konnte, wurde sie von den Schleppern kurzerhand ins Meer geschmissen. Er musste entweder seinen Sohn oder seine Tochter allein lassen und entschied sich dafür, im Boot zu bleiben. Schwer traumatisiert kam er mit seinem Sohn in Deutschland an. Warum lässt Gott so etwas zu?

Eine Gruppe von jungen Leuten aus unserer Gemeinde war diesen Sommer zu einer Freizeit nach Spanien gefahren. Sie haben einen Tagesausflug nach Barcelona gemacht, genau am gleichen Tag, als dort ein Attentäter mit einem LKW in eine Einkaufsmeile gerast war. Mehrere Jugendliche und Mitarbeiter waren in unmittelbarer Nähe des Anschlages. Zum Glück ist keiner von ihnen verletzt worden, aber es war ein Schock für sie und auch für die Angehörigen hier, als wir davon erfuhren. Warum lässt Gott so etwas zu?

Um es gleich vorweg zu nehmen: Ich kann diese Frage nicht beantworten. Und die theologisch richtige Aussage vom freien Willen des Menschen und der damit verknüpften Verantwortung für unser Handeln scheint mir nicht wirklich befriedigend zu sein. Die andere ebenfalls theologisch richtige Antwort vom sogenannten „Sündenfall“, als Adam und Eva im Garten Eden sich entschieden, auf die Schlange zu hören und dadurch die Schleusen für das Böse in der Welt öffneten, scheint mir genauso lebensfern zu sein. Fromme Phrasen sind keine befriedigende Antwort auf echte Nöte.

Mit unserem Erfahrungsbericht möchte ich zeigen, wie es möglich wurde, mit dieser Belastung klar zu kommen.

Bevor unsere Tochter operiert wurde, haben meine Frau und ich in allen Zweifeln und Befürchtungen natürlich auch die Frage gehabt, warum lässt Gott so etwas zu? Warum ausgerechnet wir? Wenn Gott ihr Schöpfer ist, hat Er an ihrem Herz nicht so gute Arbeit gemacht? Wir bekamen in dieser konflikthaften Zeit von jemand den Hinweis, doch mal in der Bibel den Psalm 139 zu lesen. Der ganze Psalm hat uns bewegt und ermutigt, besonders diese Stelle hier:

„Denn du hast meine Nieren bereitet und hast mich gebildet im Mutterleibe. Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele. Es war dir mein Gebein nicht verborgen, da ich im Verborgenen gemacht wurde, da ich gebildet wurde unten in der Erde. Deine Augen sahen mich, als ich noch nicht bereitet war, und alle Tage waren in dein Buch geschrieben, die noch werden sollten und von denen keiner da war.“

Die Frage „Warum lässt Gott so etwas zu?“ wird davon nicht beantwortet, ja noch nicht einmal berührt. Ermutigt wurden wir dadurch, dass Gott uns zu sagen schien: „Ich habe alles im Griff, ich bin größer als eure Zweifel und Ängste, ich bin der Herr über Leben und Tod, vertraut mir!“

Wir konnten uns entscheiden: weitermachen mit der bohrenden Frage „Warum?“ Darin liegt das Potenzial, Gott Vorwürfe zu machen. Es besser zu wissen als Er und in letzter Konsequenz verbittert zu werden. Oder wir konnten uns Ihm anvertrauen. Gegen unsere rational unbeantworteten Fragen einfach entscheiden, dass wir lieber mit und bei Gott dieses Leid durchstehen wollten, als ohne Ihn. Als sich für uns heraus kristallisierte, dass es im Kern um die Frage geht: Wollen wir trotz… bei Gott bleiben? Sollen wir dennoch an Ihm festhalten? Da wurde es einfacher. Wir mussten uns nur wieder neu entscheiden, an Ihm dran zu bleiben. Neu entscheiden hinter Ihm her zu laufen. Das Gelände wurde rauher und unübersichtlich, aber Er ging ja voran und zeigte den Weg. In der Entscheidung, an Ihm zu bleiben kamen wir zur Ruhe. Sein Friede ist eine reale Erfahrung, die ich nicht erklären kann. Aber er ist unser ständiger Begleiter geblieben. Die Herz-OP unserer Tochter verlief so gut, dass wir mit ihr nach acht Tagen wieder zu Hause waren. Die Frage warum Gott das zugelassen hat, ist bis heute nicht beantwortet. Aber sie hat völlig an Bedeutung verloren.

Im Urlaub bin ich gut drauf und alles scheint so easy. Wenn ich höre, dass jemand in der Familie Krebs hat, flutscht mir das Wohlgefühl aus der Hand. Wer entscheidet eigentlich, was gut oder schlecht für mich ist? Wer hat das Recht, über Freude und Leid in meinem Leben zu verfügen? Scheint mir vermessen, dass ich selbst der absolute Maßstab für Glück und Unglück sein soll. Irgendwann kracht mein absolut richtiger Maßstab mit dem der anderen zusammen. Dann geht die Rechnung nicht auf. Ich glaube heute wirklich, dass es für mein Leben das Beste ist, dies alles in Gottes viel größere Hände zu legen. Dort haben wir, meine Frau und ich, Frieden und Geborgenheit gefunden.

Gerd Reschke

„Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau“, so lautet die präfeministische und heute landläufig noch immer in den Köpfen vieler Menschen verankerte Meinung. Bei Martin Luther und Katharina von Bora trifft sie sicherlich zu. Zwei außergewöhnliche Menschen haben sich vor 500 Jahren dem Projekt Reformation verschrieben. Wie fanden die beiden außergewöhnlichen Menschen zueinander und wie gestalteten sie ihren gemeinsamen Lebensweg?

Kindheit

Katharina von Bora wurde am 29. Januar 1499 in bescheidenen Verhältnissen des verarmten sächsischen Landadels im Gut Lippendorf südlich von Leipzig geboren. Sie hatte mindestens drei Brüder und wahrscheinlich eine Schwester. Als sie fünf oder sechs Jahre alt war, starb ihre Mutter. Vater Hans heiratete 1505 eine Margarethe. Schon 1504 wurde das kleine Mädchen in das Benediktinerkloster Brehna gegeben, wahrscheinlich aufgrund von Armut. 1508 brachte Hans von Bora Katharina im Kloster Marienthron in Nimbschen unter, wo auch ihre Tante Margarethe von Haubitz als Äbtissin lebte. Dort lernte sie Lesen, Schreiben, Singen und Latein-Grundlagen. Auch die betriebswirtschaftlichen Abläufe einer Landwirtschaft wurden ihr beigebracht. Zum frühestmöglichen Termin, 1515, legte sie ihr Gelübde als Nonne ab. Trotz der strengen Regelungen war ihr Horizont wahrscheinlich weiter als bei Gleichaltrigen ihres Standes im Haus der Eltern.

Flucht aus dem Kloster

Bald darauf erschienen Luthers erste Kloster-kritische Schriften. Wie Luthers Gedankengut in das Kloster Marienthron gelangte, bleibt im Dunkeln. Fest steht nur, dass viele Mönche und Nonnen die Klöster verließen, so auch Katharina von Bora. In der Nacht vom Ostersamstag zum Ostersonntag 1523 fuhr Leonhard Koppe, Ratsmann zu Torgau, mit zwei jüngeren Verwandten in Nimbschen vor und half 12 Nonnen bei der Flucht, worauf die Todesstrafe stand. Luther brachte die Frauen bei Freunden in Wittenberg unter und organisierte eine Kollekte am kurfürstlichen Hof. Katharina kam zunächst zum Stadtschreiber Philipp Reichenbach und später zu Lucas Cranach dem Ältern, von dem auch die Porträts Katharinas und Luthers stammen. Sie blieb Barbara und Lucas Cranach in enger Freundschaft verbunden. So waren diese später gegenseitig Taufpaten ihrer Kinder.

Ehe mit Luther

Katharina begegnete 1523 dem Wittenberger Studenten Hieronymus Baumgartner, der wohl bei ihr einen bleibenden Eindruck hinterließ. Seine Eltern stimmten aber der Ehe mit einer entlaufenen Nonne nicht zu. Luther war wohl zunächst an Ave von Schönefeld interessiert, die aber Basilius Axt heiratete. Für Luther schien die Frage, ob er heiraten solle, wichtiger als wen. Bei seiner Einstellung zur Ehe stand er in der Tradition, die Kindererzeugung und -aufzucht aber auch gegenseitige Unterstützung und Hilfe der Partner auf Lebenszeit umfasste. Bei dem Bund von Luther und Katharina scheint sie die treibende Kraft gewesen zu sein. Barbara und Lucas Cranach brachten Katharina am 13. Juni 1525 ins Schwarze Kloster, wo sie und Luther von Johannes Bugenhagen im Beisam des Freundes Justus Jonas getraut wurden. Fortan wohnten sie im ehemaligen Augustinerkloster in Wittenberg, das den Reformatoren von Kurfürst Johannes dem Beständigen zur Verfügung gestellt wurde. Zwei Wochen später feierten sie ihre Hochzeit mit Freunden und Verwandten.

Leben als Lutherin

Katharinas betriebswirtschaftliche Kenntnisse aus der Landwirtschaft sowie ihr offensichtlich großes Talent für das Management kamen ihr nun zugute. Nicht nur verwaltete und bewirtschaftete sie die umfangreichen Ländereien, betrieb Viehzucht und eine Bierbrauerei, sie betreute auch den finanziellen Teil der Drucklegung von Luthers Schriften und erwarb sich Respekt mit geistreichen und schlagfertigen Beiträgen zu Tischgesprächen und Briefen. Zudem führte sie in Zeiten der Pest ein Krankenhaus, in dem sie mit anderen Frauen Kranke pflegte. Katharina und Martin Luther bekamen drei Mädchen und drei Jungen. Elisabeth starb schon als Baby. Der Tod von Magdalena mit 12 Jahren stürzte die Eheleute in eine tiefe Krise. Die Managerqualitäten Katharinas müssen sehr ausgeprägt gewesen sein. Sie versorgte ihre Kinder, Gäste, Lehrer, Studenten, Dienstboten und Tagelöhner und entwickelte großes Geschick beim Ankauf und der Pachtung von Gärten und landwirtschaftlichen Flächen. Katharinas Gesundheit scheint robust gewesen zu sein, ansonsten hätte sie ein solches Pensum nicht schaffen können. Luther wollte zwar von Frauen im öffentlichen Leben nichts wissen, achtete aber Katharinas Führungsfunktion im Haus und nannte sie liebevoll „Mein Herr Käthe“. In seinen Briefen finden sich weitere Kosenamen für seine Frau: „Carissima“, „meine herzliebe Käthe“, aber auch „Mea Domina“ oder „Meus Dominus Ketha“. Katharina war eine starke Frau, die mit dem schwierigen Luther umgehen und ihm neben ihren Führungsfunktionen im Haushalt auch eine adäquate geistige Gefährtin sein konnte, indem sie an seinen theologischen und politischen Problemen teilnahm.

Späte Jahre

Der Tod Luthers 1546 traf Katharina tief und brachte sie in eine wirtschaftlich prekäre Situation. Luther hatte sie zwar sowohl im Ehevertrag von 1525 als auch im Wittenberger Testament von 1542 zur Alleinerbin gemacht, diese widersprachen aber dem geltenden Recht des Sachsenspiegels. Kurfürst Johann Friedrich I. von Sachsen sicherte ihr durch ein Machtwort jedoch weite Teile der Erbschaft und der Rechte. So konnte sie im Kloster bleiben und wurde unter anderem von Herzog Albrecht von Preußen und König Christian III. von Dänemark finanziell unterstützt. 1546 flieht sie mit ihren Kindern vor dem Schmalkaldischen Krieg und kehrt erst 1547 nach Wittenberg zurück, wo sie vor den verwüsteten Gebäuden und Ländereien steht. Mit Hilfe der Fürsten bewältigt sie den Wiederaufbau und kann die wirtschaftliche Not abwenden. Vor der Pest und vor Missernten flieht sie nach Torgau, vor dessen Toren ihr Fuhrwerk in einen Verkehrsunfall verwickelt wird. Dabei bricht sie sich einen Beckenknochen und stirbt drei Wochen später am 20. Dezember 1552 in Torgau.

Kirstin Rappmund-Gerwers

Jean Pierre Botay hat mit einem alten Wahlcomputer ein Internet-Café eröffnet und verbindet Basankusu so mit der Außenwelt. Als Lehrer an einer Höheren Schule kann er sich über diese Nebeneinnahme freuen, denn im Moment streiken die Lehrer. Ihr Gehalt von umgerechnet 100 Euro ist durch die Inflation jetzt nur noch 60 Euro wert. Vier schulpflichtige Kinder haben er und seine Frau Marie Jeanne, trotzdem haben sie offene Herzen und Hände für Bedürftige. Und manchmal kann ich da auch helfen.

Jetzt bat Botay um Mithilfe und schrieb: „Zusammen mit fünf Freunden haben wir Geld gesammelt, um dem armen Papa Kenda im Krankenhaus zu helfen. Er sieht so schrecklich aus! Seine Frau ist verrückt. Sie hat Wasser gekocht, und während er schlief, goss sie das heiße Wasser über ihn. Kenda hat hier keine Verwandten. Er war Nachtwächter bei einem auswärtigen Händler. Hier wird ja nur der behandelt, der auch bezahlt. Kannst du nicht auch etwas beisteuern?“

Das konnte ich, und ich habe mal gefragt, was denn jetzt aus der Frau geworden sei. – Die lebt und ist in Sicherheit, sie liegt jetzt im Gefängnis!

Gut zwei Wochen später schrieb Botay: „Ich habe den armen Papa Kenda wieder im Hospital besucht. Er scheint das zu überleben. Die Polizisten waren bei ihm, um ihn zu vernehmen. Jetzt erinnert man sich, dass die Frau das schon mal gemacht hat. 2015 hat sie ihr sechs Monate altes Baby verbrüht. Das Baby ist gestorben. Damals hielt man das für einen Unfall, und alles war bereits vergessen.

Aber ich habe mich jetzt doch sehr über Kenda gewundert. Er bat die Polizisten, ob sie ihm nicht mal seine Frau bringen könnten. „Ich liebe sie so sehr und habe solche Sehnsucht nach ihr.“ Aber die Polizisten mussten ihm sagen, dass sie das nicht könnten. Da hat er sie sehr gebeten, seine Frau doch gut zu behandeln, und sie auf keinen Fall mehr zu schlagen. „Diese Frau ist nicht böse. Sie ist meine große Liebe, und ich habe nur Sehnsucht nach ihr!“

„Jetzt frage ich dich“, schrieb Botay, „wie kann jemand so lieben, oder wo kommt hier solch eine unverständliche Liebe her, die nicht mal mitten im Schmerz endet?“ „Das weiß ich auch nicht“, habe ich zurückgeschrieben, „aber du kannst ja in der Bibel lesen: Liebe ist stark wie der Tod. Niemand entrinnt ihm, keinen gibt er frei, und so unüberwindlich ist auch die Liebe. Ihre Leidenschaft brennt wie ein Feuer. (Das Hohelied 8,6)

Solch eine unverständliche und nicht auszulöschende Liebe erinnert mich in diesem Fall hier direkt an Jesus, der mir all‘ meinen Blödsinn auch immer wieder vergibt.

Peter Gohl