80 Jahre – aber kein bisschen (liebes-)müde

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Gerd Heydn im Gespräch mit Peter Gohl

80 – und noch kein bisschen müde. Was meint eigentlich Ihr Hausarzt zu Ihren ‚Extrem-Ausflügen‘ in den Kongo nach drei Stents und permanentem Bluthochdruck?

„Der Doktor hat gesagt: ‚Wenn ich könnte, würde ich dir verbieten, in dieses Klima zu fliegen, aber du hörst ja doch nicht auf mich. Dann will ich wenigstens für dich beten.‘ Aber der war ja nur einer von vielen, die dauernd für uns gebetet haben. Er wusste, dass ich erst mal den Herrn nach dessen Meinung fragen würde. Ich habe aber jedes Mal irgendwie gewusst, dass ich fliegen soll. Von Anfang an hatte ich Zweifel, welchen Sinn das überhaupt macht. Es gab auch viele frustrierende Erlebnisse, und ich habe viele Fehler gemacht, aber ich habe immer wieder gespürt, dass Gott mich da haben wollte und dass das alles nicht meine Idee war.“

Machen Sie sich selbst ein Geschenk zu Ihrem 80. Geburtstag? Fliegen Sie auch dieses Jahr wieder in den Kongo?

„Mal sehen…Gott wird es mir schon sagen.“

Was hat Sie denn letztlich Anfang der 1980er Jahre überhaupt bewogen, mit Ihrer Frau in den Kongo zu gehen?

„Wir hatten ja ein Baugeschäft und jemand fragte mich, ob wir eine Schule bauen könnten. Das wollte ich gerne, doch es stellte sich heraus, dass diese Schule im damaligen Zaire entstehen sollte. Das war der Anfang einer langen Geschichte. Es ging uns gut und Elisabeth hat damals gesagt: ‚Wir haben 20 Jahre nur für uns und das Finanzamt gearbeitet, wir sollten mal ein Jahr für Gott und die Mitmenschen da sein!‘ Wir ahnten aber nicht, worauf wir uns einließen. Null Ahnung, keine Sprachkenntnisse außer einem Crashkurs in Französisch, ein mörderisches Klima im Regenwald mit 90 Prozent Luftfeuchtigkeit, kein Strom. Die meisten Baustoffe mussten selbst hergestellt, Fischer- und Jägerjungs angelernt werden. Letztlich hatten wir eine gute Bautruppe, die überall in Dschungeldörfern Kirchen, Krankenstationen und Schulen bauten. Aber ich sollte bald erkennen, dass alle unsere Bauten einmal wieder Ruinen sein würden, so wie die ehemaligen Kolonial- und Missionshäuser. Es ging um etwas ganz anderes – etwas, das ich nicht kannte. Aber Gott wusste es, denn der hatte uns ja geschickt.“

Was wollten Sie denn noch aufbauen im Kongo, außer mit Ihren Händen Stein auf Stein zu setzen und die Menschen dort darin anzulernen?

„Frage: Was ist der Sinn des Lebens? Wenn ich in den Dschungel geflogen bin, habe ich auch immer was gemacht und viel geredet. Ein Dschungelpastor nannte mich seinen Freund und sagte: ‚Hör zu, ich lege mich auf die Erde und stell mich tot. Wenn meine Frau dann kommt und Halleluja schreit, der Alte ist tot, dann weiß ich, dass sie mich nicht mehr liebt! Wenn du uns hier besuchst, kannst du nur unser Freund sein. Denn hier kannst du ja nichts verdienen. Du kriegst gerade knapp satt zu essen. Wir sind hier wie tot. Wenn aber die Leute sehen, dass du aus dem schönen Europa zu uns in den Dschungel kommst, wo du keine Matratze zum Schlafen hast, können sie auch wieder neu glauben, dass Jesus den Himmel verließ, um sich um uns Menschen im Elend zu kümmern!‘ Geld muss nicht unbedingt schädlich sein. Wenn ich aber einem Kranken eine Operation bezahle, wird er trotzdem eines Tages sterben. Dass ich helfe, das zählt! Ich riskiere nicht Kopf und Kragen für ein missionarisches Alibi im Kongo. Ich selbst bin das Projekt, an dem ich arbeite. Mission ist Herzenssache. Die zu besuchen, die sonst keiner besucht, darum geht es.“

Die Triebfeder in Ihrem Glauben, in Ihrem Vertrauen auf Gott?

„Gott sagte zu Abraham: Geh! Und der ging dann auch, ob es schwer fiel oder nicht. So gehe ich auch jetzt hier in den nächsten Tag. Glauben heißt: Hingehen im Vertrauen auf Gott. Die Bibel ist voll solcher Beispiele. Und wir haben im Kongo so viele gläubige Menschen getroffen, die weder evangelisch noch katholisch waren.“

Wie haben denn Ihre beiden Söhne, damals 17 und 19 Jahre alt, Ihre Entscheidung hingenommen, in den Kongo zu gehen?

„Unsere Jungens waren stolz, dass wir unseren ganzen kapitalistischen Kram hinter uns lassen wollten. Die Entscheidung war hart und traf Elisabeth als Mutter am härtesten. Unsere schlimmste Stunde kam, als wir 1982 im Hafen von Antwerpen Abschied von unseren Jungs nahmen. Wir verstanden uns selbst nicht und haben jede Nacht die Kopfkissen nass geheult. Die Jungs sind in einer Art Wohngemeinschaft in unserem Haus geblieben, das wir an Freunde vermietet hatten. Das Baugeschäft in Wermelskirchen hatten wir aufgegeben.“

Liebe, Nächstenliebe haben sich in Ihrem Leben aber nicht nur und nicht erst durch Ihre Missionstätigkeit im Kongo ausgedrückt?

„Nein, 1972 stellten wir der Jugendgruppe unserer Gemeinde einen hellen Kellerraum in unserem neuen Haus zur Verfügung. Daraus entstand ein Jugend-Treff, wo schon mal 100 Leute zusammen sangen und beteten. Teestube war damals modern. Unser Haus war immer voll mit Jugendlichen, wir saßen selten mal alleine am Tisch. Die Teestube lief auch weiter, als wir im Kongo waren, und schon früh kamen einige Behinderte aus einem nahen Wohnheim dazu. Später haben wir uns dann ganz auf behinderte Menschen konzentriert. Teestube ist jeden Sonntag bei uns. Wir wurden ja immer von Gott in allerlei Aktionen hineingezogen. Toll waren die Weihnachtsfeiern mit Pennern und Alkoholikern, Heiligabend mit einer Schwester der Mitternachtsmission im alten Wartesaal in Köln. Wir hatten mal ein Bibelwort bekommen, das uns immer wieder aufgerichtet hat: ‚Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht bringt und eure Frucht bleibt, damit, wenn ihr den Vater bittet in meinem Namen, er‘s euch gebe‘, Joh 15,16. Wieso gerade wir? Das werden wir bald erfahren, denn mit 80 ist man schon ziemlich nah bei Gott, der mit dem Taschentuch in der Hand da oben auf uns wartet. Denn Gott wird abwischen alle Tränen von unsern Augen…“.