Immer wieder hören, sehen oder erleben wir Situationen, die andere oder uns selbst in schweres Leid bringen. Und regelmäßig kommt dann die wahrscheinlich uralte Frage auf: Warum lässt Gott das zu? Wenn Gott gut ist, warum gibt es dann soviel Gewalt, Armut, Ungerechtigkeit und Krankheit in dieser Welt?
Als Gott den Menschen erschaffen hatte, gab Er ihm den Auftrag, die Erde zu bebauen und zu bewahren. Wir sind „nach Seinem Bild“ erschaffen. Ein Aspekt davon, nach dem Bild Gottes erschaffen zu sein, ist die Verantwortung, die unser Schöpfer uns übertragen hat. Verantwortliches Handeln setzt voraus, dass man die Folgen seiner Entscheidungen einschätzen und abwägen kann. Das allein ist schon anspruchsvoll genug. Erschwerend kommt hinzu, dass wir ständig im Spannungsfeld verschiedener Bedürfnisse und Ansprüche entscheiden. Das eröffnet die Möglichkeit, selbstbezogene, schlechte oder gar boshafte Richtungen einzuschlagen. Und dann wird in der Bibel auch noch davon gesprochen, dass hinter allem Bösen ganz unsichtbar der Durcheinanderbringer, der Teufel seine Strippen zieht. Deswegen wird es möglich, schreckliche Verbrechen zu begehen. Die Schwächsten in der Gesellschaft sind dann häufig die Leidtragenden.
Warum lässt Gott das zu? Viele Millionen Menschen sind heute weltweit auf der Flucht. Es gibt politische Machthaber, die zuerst sich selbst rücksichtslos bereichern. Starke leben auf Kosten von Schwachen. Warum lässt Gott das zu? Wir beuten die Schöpfung aus, verschmutzen die Umwelt und schädigen wertvolle Ökosysteme.
Warum lässt Gott das zu? Kinder werden missbraucht und misshandelt. Wir sind umgeben von Bildern von Gewalt und Terror. Warum lässt Gott das zu?
Stopp! Ich verstehe absolut die Berechtigung dieser Frage. Aber dann bitte einmal genau hinschauen und nachdenken: An welcher Stelle soll Gott denn eingreifen? Und vor allem: Wie bitte, soll er das dann tun? Es ist hier nicht möglich, diesen Fragen ausführlich nach zu gehen.
Deshalb möchte ich einige Aspekte als eine Art Leitlinie anreißen: Im Kindergarten meiner Tochter steht im Leitbild u.a. der Satz: „Hilf mir, es selbst zu tun.“ Elternschaft ist die Verantwortung, in eigenverantwortliches Entscheiden und Handeln hinein zu begleiten. Die Basis, auf der diese Hinführung zur Verantwortung stattfindet, ist eine gute, starke und belastbare Beziehung. Genau das, was Gott sich von Anfang an mit jedem Menschen wünscht. In der Beziehung zu unserem Schöpfer werden wir Wertschätzung, Liebe und Würde erfahren. Das befähigt uns, verantwortlich mit Seiner Schöpfung umzugehen.
Die Gesetze, die sich menschliche Gesellschaften und Staaten geben, basieren letztlich auf der Furcht vor Strafe. Das bedeutet, das Verhalten von Menschen wird von außen her reguliert und geordnet. Jesus sagt dazu: „Ein schlechter Baum wird schlechte Früchte tragen.“ Die kann man natürlich immer im Ansatz pflücken, damit sie nicht reifen können. Dafür gibt es dann Polizei, Gerichtsbarkeit und Gefängnisse. Nochmal Jesus: „Pflanzt einen guten Baum, der wird gute Früchte hervorbringen.“ Auf den Punkt gebracht heißt das: Ein Mensch mit einem guten Herzen wird gut entscheiden und handeln. Wir sind aber völlig außerstande, unser Herz zu verändern. Deshalb ist die zentrale Botschaft von Jesus Christus: Wenn Du Dein Leben mir anvertraust, wenn Du mir die Chefetage Deines Lebens übergibst, dann erschaffe ich in Dir ein neues, gutes Herz. Du wirst als guter Baum gute Frucht tragen. Auch hier spielt als Basis die Beziehung zwischen Ihm und uns eine tragende Rolle.
Noch einmal zurück zur Schöpfungsgeschichte: Als Gott den Adam erschaffen hatte, führte Er einen Ruhetag ein. Adams erster vollständiger Tag war ein Tag des Ruhens und der ungestörten Beziehung mit seinem Schöpfer. Zuerst war die Beziehung, danach der Auftrag und die Verantwortung. Der Sündenfall ist der Bruch in dieser Beziehung. Von dem Moment an hat Gott all Sein Handeln darauf ausgerichtet, die Beziehung zu Seinem Geschöpf wieder herzustellen. Jesus ist der Prototyp des Menschen, der die uneingeschränkte, vollständig hingegebene Beziehung zu Seinem Schöpfer, dem verlässlichen Vater im Himmel lebte. Die gute Nachricht, die Jesus predigte, ist, dass Er unser Herz für diese Beziehung und in ihr erneuert und zur selbstlosen Liebe befähigt.
Die Aspekte der Freiwilligkeit und des selbstbestimmten Übernehmens von Verantwortung scheinen für Gott eine so große Bedeutung zu haben, dass Er nicht gegen unseren Willen einfach in unser Handeln eingreift. Auch dann nicht, wenn wir anderen Menschen Schaden zufügen. Sein Eingreifen in das Handeln des Menschen besteht im Werben um unser Herz. Und in der Beziehung zu Ihm werden wir befähigt, unser Leben und das anderer in unserer Umgebung auf gute Weise zu gestalten: in Freiheit, Verantwortung und mit einem wachsenden inneren Verstehen, warum Entscheidungen gut oder schlecht sind. Die Angst vor dem „erwischt werden“ wird sich mit der reifenden Beziehung zu Gott immer mehr verlieren und völlig bedeutungslos werden. Der Apostel Johannes formuliert es in einem seiner Briefe mit den Worten: „Wirkliche Liebe ist frei von Angst. Ja, wenn Gottes vollkommene Liebe uns erfüllt, vertreibt sie sogar die Angst. Wer sich also fürchtet und vor der Strafe zittert, bei dem ist Gottes Liebe noch nicht zum Ziel gekommen.“ (1.Joh.4,18)
Nehmen wir doch mal an, dass unser Leben eine Vorbereitung ist auf das, was kommt, auf die Ewigkeit. Dann könnte es doch sein, dass Gott eine Absicht hat, wenn Er uns Leid erfahren lässt. Adam und Eva haben leichtfertig die Beziehung zu ihrem Schöpfer aufs Spiel gesetzt, nicht ahnend, welch tragische Auswirkungen das haben würde. Es könnte doch sein, dass Gott uns durch alle Nöte hindurch anleitet und zu Menschen formt, die eine Einsicht haben in die Folgen sowohl egoistischer wie auch selbstloser Entscheidungen. Und aufgrund dieses Wissens darin gestärkt werden, bedingungslos und in enger Anbindung an Ihn immer wieder in Seinem Sinne zu handeln. Damit es in Ewigkeit nie wieder dazu kommt, dass Böses erlebt und erlitten werden muss.
Gerd Reschke