100 Tage Wüste
Die Bibel erzählt viele Lebensgeschichten von Menschen und ihrer Beziehung zu Gott. Wenn wir diese mit ihren Höhen und Tiefen studieren, lernen wir viel über Gottes Wesen und Seine guten Absichten mit uns.
Gott segnet Menschen mit verschiedenen Gaben. Das kann materieller Reichtum sein, oder auch eine bestimmte Befähigung, um Gottes Worte zu predigen oder zukünftige Ereignisse anzukündigen. Manche werden befähigt, verantwortlich eine Machtposition auszufüllen. Immer hat der Segen von Gott die Ausrichtung, dass er durch den Gesegneten auch andere Menschen erreicht. Bei einigen Lebensbildern sieht man von Anfang an, wie diese Männer oder Frauen in kleinen Schritten ihre Beziehung zu Gott entwickeln. Bei anderen setzt die Erzählung da ein, wo das Vertrauen zu Gott schon tief gegründet ist. Ganz unabhängig von der jeweiligen Lebensgeschichte, den Umständen, in denen jemand lebt oder der Aufgabe, die er zu erfüllen hat, scheint sich alles immer um einen zentralen Gesichtspunkt zu drehen: Dass Menschen in ihrem Herzen das grundsätzliche Vertrauen auf Gottes gute Absichten entwickeln sowie Seine umfassende Kompetenz, diese in unserem Leben zu verwirklichen. Um dieses Vertrauen zu festigen und immer tiefer zu gründen, benutzt Gott die unterschiedlichsten Mittel. Eines davon ist eine Phase der Wüstenzeit.
Es gibt dafür gleich mehrere Beispiele in den biblischen Erzählungen: Abraham (er wählte übrigens freiwillig eine wenig fruchtbare Region als Weidegrund für seine riesigen Herden aus und Gott segnete ihn trotzdem und ließ seinen Reichtum weiter wachsen), Mose musste 40 Jahre in der Wüste verbringen, bevor Gott ihm seine Lebensaufgabe anvertraute. Das Volk Israel wanderte ebenfalls 40 Jahre durch die Wüste, weil Gott sie ins Vertrauen auf Seine Macht hinein führen wollte. Und selbst Jesus wurde nach Seiner Taufe vom Heiligen Geist in die Wüste geführt. Interessanterweise sagt der Text dann (Lk 4, 14), dass Jesus nach dieser Wüstenzeit nach Galiläa zurückkommt und zwar „in der Kraft des Heiligen Geistes“. Von da an tritt Jesus in der Öffentlichkeit auf und in Seinem Reden und Handeln wird diese Kraft sichtbar. Sein Thema ist, dass Gottes Herrschaft jetzt angebrochen ist.
Offensichtlich ist die Wüstenzeit eine wichtige Voraussetzung, um zu dieser machtvollen Repräsentation der Herrschaft Gottes befähigt zu sein. Ein weiteres Beispiel ist Johannes der Täufer. Er gilt als der größte Prophet, der ganz unmittelbar auf den jahrhundertelang angekündigten Messias hinweist und Ihm persönlich begegnet. Auch Johannes wird in der Wüste von Gott vorbereitet. Lk 1, 80: „Johannes wuchs heran und wurde stark im Geist. Er lebte in der Wüste bis zu dem Tag, an dem er öffentlich in Israel auftrat.“
Was kann eine Zeit in der Wüste an fruchtbarem Leben hervorbringen? Wüste ist doch gekennzeichnet durch Trockenheit, Einsamkeit und weitgehend unbelebte, eintönige Landschaft. Ein lebensfeindlicher Ort, den man sich nicht freiwillig als dauerhaften Lebensraum wünscht. Doch genau diese Umstände kann Gott benutzen, um Menschen zu formen und zu befähigen, ihren Auftrag zu erfüllen. Bei den Wüstenberichten scheint sich ein immer wiederkehrendes Muster abzuzeichnen:
1. Gott selbst führt in die Wüste hinein
Erst wenn es eine Basis des gewachsenen Vertrauens gibt, wird es möglich sein, den Zustand der Einsamkeit sowie die Unsicherheit der Versorgung auszuhalten. Gott ist selbst verantwortlich für die Existenz, wenn Er es ist, der in die Wüste hinein geführt hat.
2. Gott geht auf Abstand
Es kann der Eindruck entstehen, das Gott sich zurückzieht, was natürlich das Gefühl der existenziellen Bedrohung weiter verschärft. Das ist jedoch die Voraussetzung, um im Herzen die Sehnsucht nach Gott zu bündeln und sie ausschließlicher und intensiver auf Ihn auszurichten.
3. Gott offenbart sich
Immer wieder wird in der Bibel erzählt, dass Gott am Ende einer Durststrecke kommt, und in einer intensiven, erfüllenden Begegnung zeigt, wer Er ist.
Daraus erwächst eine unerschütterliche und tiefe Bindung zwischen Gott und dem Menschen.
Nach dem Durchleben der Wüstenzeit gingen die Menschen förmlich gestählt in ihre jeweilige Lebensaufgabe hinein. Dabei ging es nicht in erster Linie darum, ihre Willenskraft und Entschlossenheit zu stärken, als vielmehr ihre Bindung an Gott zu vertiefen. Aus der tieferen Beziehung zu Gott erwächst natürlich auch Entschlossenheit, Mut, Durchhaltevermögen usw. Das sind aber die Folgeerscheinungen, die aus dieser Liebesbeziehung hervorgehen und nicht ihre Voraussetzung. Gott ist der Meister, der da am Werk ist. Es ist immer Gottes Absicht, dass Er die Geschichte mit Seinem Geschöpf, Seinen Menschen gestalten will. Menschen, die Er beruft, die Er formt und erzieht, mit Gaben ausstattet und dann zu anderen Menschen schickt, um Ihnen Worte von diesem großen, allmächtigen und guten Gott zu bringen.
Gerd Reschke