Allein der Glaube, allein die Gnade, allein die Schrift

Als Martin Luther im Oktober 1517 seine 95 Thesen verfasste, waren sie das Ergebnis seines langen und verzweifelten Ringens auf der Suche nach einem gnädigen Gott. Er hatte als Mönch, den allgemein herrschenden Überzeugungen gemäß, versucht, ein möglichst heiliges und moralisch edles Leben zu führen. Auf diese Weise gedachte man, den Zorn Gottes zu besänftigen. Tatsächlich brachten alle Askese und Selbstverleugnung ihn jedoch nicht näher zu Gott, sondern in größere Unsicherheit. Diese Zweifel und inneren Kämpfe kamen erst zur Ruhe, als er im Wort Gottes die Antworten fand, die ihm woanders nicht gegeben werden konnten. Diese Einsichten wurden zu Kerngedanken (allein der Glaube, allein die Gnade, allein die Schrift), die die Reformation auslösten. Auch 500 Jahre später sind diese Einsichten genauso aktuell und gültig, wie eh und je. 

Allein der Glaube

Beim Glauben, von dem die Bibel spricht, geht es nicht um Selbstsuggestion oder eine Art philosophischer Überzeugung. Er ist ein Handeln Gottes, der Seine Wahrheit in unser Herz hineinlegt, wenn wir uns für Ihn öffnen. Aufgrund dieses Glaubens sind wir dann total in Ordnung in Seinen Augen. Warum ist das so? Der Glaube ist die Haltung, die Gottes Autorität anerkennt. Er ist die Überzeugung, dass Gott Recht hat, dass Er die Wahrheit sagt, dass Er zuverlässig ist. Ein Sprichwort sagt: Vertrauen ehrt. Deshalb ist der Glaube ein Lebensstil im Respekt vor Gott, mit dem Er ständig geehrt wird. Die Ehre ist das Größte, was wir Gott geben können. Als Jesus einmal eine arme Witwe beobachtete, die ihre letzten Groschen spendete, lobte Er sie. Sie hatte zwar deutlich weniger gegeben, als manch ein reicher Bonzen. Aber ihre Haltung war offensichtlich die radikale Entschlossenheit, sich mit ihrer ganzen Existenz von Gott und Seiner Versorgung abhängig zu machen. Diesen Glauben kann man nicht produzieren oder erzwingen, er ist eine Auswirkung der Beziehung zu Gott.

Allein die Gnade

Wie kann ein Mensch vor Gott bestehen? Was macht uns kompatibel mit Seiner Gerechtigkeit und tadellosen Heiligkeit? Die Möglichkeiten, mit Gott ins Reine zu kommen, suchte Martin Luther im klösterlichen Leben als Mönch. Die Werkzeuge, um sich ein heiliges Leben in Gerechtigkeit zu schmieden, waren seine Willenskraft, seine Unterwerfung unter die Ordensregeln und seine Leistungsfähigkeit. Das alles ist jedoch in uns selbst begründet und wird immer ungenügend bleiben. So wenig es möglich ist, sich an seinen eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen, so wenig können wir uns zu Gottes Anspruch an Heiligkeit und Gerechtigkeit hinarbeiten. An dieser Stelle setzt die Gnade ein: Was für uns ausgeschlossen und unmöglich ist, das schenkt Gott. Jesus Christus war der erste Mensch, in dem Gott sich völlig uneingeschränkt entfalten konnte. Sein Leben und Handeln hatte die Qualität, die Gottes Charakter entspricht. Seit Pfingsten wird dieses Leben in Gottes Qualität jedem geschenkt, der sich dafür öffnet. Das ist Gnade, eben unverdientes Geschenk. Es hat aber die Gnade zwei Seiten, wie bei einer Münze: Einerseits ist sie ein reines Geschenk, eine Gabe Gottes, die Er gerne, mit offenen Händen und überschwänglich austeilt. Die Einsicht in die Gnade macht Gottes Güte deutlich, Seine Möglichkeiten und kreative Schöpferkraft. Andererseits werden wir im Anerkennen und Empfangen von Gnade eingestehen, dass wir untauglich sind, niemals befähigt uns zu nehmen, was ausschließlich als Geschenk angenommen werden kann. Deshalb macht die Gnade Gott groß und fähig, gleichzeitig uns Menschen klein und unfähig, wenn es darum geht, Gottes Gerechtigkeit zu entsprechen. Das Leben in der Gnade wird der Selbstüberschätzung und der Überheblichkeit jeglichen Nährboden entziehen.

Allein die Schrift

Zu Luthers Zeit war die allgemein gültige Glaubenslehre ein Mix aus Bibel, griechischer Philosophie, Tradition und menschlicher Intelligenz. Darin konnte er jedoch keinen Frieden finden. Erst als ihm beim Studium der Bibel ein tiefer Einblick in die Gnade geschenkt wurde, kam er zur Ruhe. Diese Erfahrung gab dem Stellenwert von Gottes Wort eine neue Bedeutung. Wenn es so ist, dass das Wort der Heiligen Schrift die Kraft hat, das Leben eines Menschen zu verändern, zu bereichern und mit allem Guten, das Gott für uns hat, zu erfüllen, dann kann es nicht nur eine weitere unter vielen anderen Möglichkeiten sein.

Für Martin Luther wurde das Wort Gottes zum unerschütterlichen Felsen, auf den er seinen Glauben gründete. Die Heilige Schrift war der Maßstab, den er konsequent in seinem Leben anlegte und an dem er die Heilslehre seiner Zeit überprüfte. Der Wert und die Bedeutung der Heiligen Schrift wurden ihm so wichtig, dass er sie unbedingt so vielen Menschen wie möglich zugänglich machen wollte. Deshalb übersetzte er sie in die Sprache des Volkes.

Das war zu der Zeit ein mutiger und revolutionärer Schritt. Er stand im Widerspruch zu der Vorstellung, dass das Wort Gottes nur von wenigen, besonders gebildeten Kirchenleuten verstanden werden könnte. Man fürchtete, dass die Heilige Schrift in der Hand des gewöhnlichen Menschen zu viel Verwirrung bewirken würde. Dem widersprach Martin Luther, indem er sagte, dass die Heilige Schrift sich selber erklärt. Die frohe Botschaft von Jesus Christus ist die zentrale Wahrheit, mit der jeder Christ seinen Glauben leben und entwickeln kann.

Gerd Reschke