Gerd Heydn im Gespräch mit Otto Imhof

Ihr beruflicher Werdegang hat Sie 1995 von der Kanzel an den Schreibtisch geführt. Waren Sie plötzlich Ihrer Berufung überdrüssig, Gottes Wort zu verkünden?

„Nein, keineswegs. Ich  habe mich von meiner Berufung her immer als Pastor verstanden, auch als Vorstandsvorsitzender des Diakonischen Werkes Bethanien, nur eben nicht mehr in einer festen Gemeinde. Die Satzung des Werkes verlangt im Übrigen, dass ein Pastor an der Spitze des Werkes stehen muss. Auch die Arbeit vom Schreibtisch aus – natürlich nicht nur, ich war auch viel unterwegs in den einzelnen Einrichtungen des Werkes – habe ich als pastorale Aufgabe verstanden. Meine Führungstätigkeiten waren theologisch motiviert und reflektiert. Die Verkündigung von Gottes Wort habe ich darüber aber nicht vernachlässigt. So an die 18 Mal im Jahr habe ich in Gemeinden gepredigt. Außerdem gab es innerhalb Bethaniens viele Gelegenheiten zur Verkündigung.“

Erzählen Sie uns etwas von Ihrer Arbeit und über Bethanien…

„Das Werk ist schon 1896 als Diakonissen-Werk Bethanien gegründet worden. Der Begriff Bethanien stammt aus dem Hebräischen und meint wörtlich ‚Haus des Elends‘ oder ‚Haus der Armen‘. Die Diakonie Bethanien als Werk im Bund Freier evangelischer Gemeinden ist Träger eines Krankenhauses, von Pflegeeinrichtungen – stationär, ambulant, Tagespflegen – und Senioren-Wohngemeinschaften, hat Einrichtungen für Suchtkranke in Sachsen-Anhalt und umfangreiche Angebote der Aus-, Fort- und Weiterbildung, unter anderem in einem eigenen Bildungszentrum und einem Fachseminar für Altenpflege. Und zu Bethanien gehört ein Hotel auf der ostfriesischen Insel Langeoog. Insgesamt gibt es 22 Standorte des Werkes in Deutschland. Der gemeinsame Auftrag aller Einrichtungen lautet: ‚leben helfen‘. Während meiner 23-jährigen Arbeit hat sich die Mitarbeiterzahl von 600 auf knapp 2000 verdreifacht, was – Gott sei Dank! – auf eine enorme Expansion hinweist und zeigt, dass viele motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihr Bestes gegeben haben. Der Jahresumsatz des Werkes betrug zuletzt rund 82 Millionen Euro. Für die Tätigkeit in Bethanien habe ich natürlich Weiterbildungsmaßnahmen an verschiedenen Instituten besucht, besonders in Betriebswirtschaft, zu den Strukturen und Finanzierungen des Sozial- und Gesundheitswesens, zu Fragen der Unternehmens- und Mitarbeiter-Führung. Wenn ich heute zurückschaue, bin ich sehr dankbar für meinen beruflichen Weg und die vielen Entwicklungsmöglichkeiten. Ich sehe darin Gottes freundliche Führung.“

Der Glaube wurzelt in Ihrer Familie in einer starken Tradition. Und Ihre persönliche Entscheidung?

„Ja, es ist richtig: Der Glaube war in meiner Familie immer etwas Selbstverständliches. Aber als Jugendlicher habe ich dann die bewusste Entscheidung getroffen, dass ich mein Leben auf Gott ausrichten und Jesus Christus nachfolgen will. Ich wollte auf das ‚Ja‘ Gottes zu mir mit einem ‚Ja‘ zu ihm antworten. Glaube ist ein tolles Geschenk: Ich bin ein von Gott geliebter Mensch, bei ihm bin ich bestens aufgehoben für Zeit und Ewigkeit. Im Kreuz Jesu sehe ich die bedingungslose Zuwendung Gottes zur Welt – und damit zu mir! In der Nachfolge Jesu und unter der Leitung des Heiligen Geistes möchte ich mit meinen Gaben die Welt Gottes – so gut es geht – ein wenig mitgestalten.“

Welche Erfahrungen haben Sie durch Ihr Theologie-Studium gemacht?

„Das Studium leitet dazu an, den Glauben zu durchdenken. Der Glaube kann dabei durchaus verunsichert werden, es kann aber auch durch Krisen hindurch zur Vergewisserung des Glaubens kommen. Zu einer gewissen Verunsicherung hat in meinem Studium beispielsweise die Frage nach der Historizität der biblischen Berichte, etwa bei den Wundern, beigetragen. Es gibt ja immer Wellenbewegung im Glauben. Bei mir war letztlich das Ergebnis: Ich weiß, warum und woran ich glaube! Die Frage, ob Gott überhaupt existiert, hat sich in meinem Leben nie gestellt.“

Sie sind seit Ihren Studien-Zeiten in Heidelberg mit Gabi und Bodo Beuscher befreundet…

„Ja, und es ist eine sehr enge Freundschaft. Wir haben uns als Studenten in der SMD kennen gelernt. Wobei man ja nie genau erklären kann, wieso eine Freundschaft entsteht. Man spürt, da ist Sympathie, es wächst Vertrauen – das Geheimnis jeder Freundschaft. Bis heute treffen wir uns oft, tauschen uns über ‚Gott und die Welt‘, Gemeindliches und Persönliches, Entwicklungen in Landes- und Freikirche aus. Wir sind sehr unterschiedlich und gehören irgendwie zusammen. Gabi Beuscher hat übrigens unsere Tochter und unseren Schwiegersohn auf Schloss Hohenkammer in Bayern getraut – nicht nur äußeres Zeichen unserer Verbundenheit.“

Das klingt alles so, als hätten Sie in Ihrem Leben nie eine Eintrübung erfahren. Gab es nie einen Punkt, an dem sie gezweifelt haben?

„Wie ich schon sagte, Zweifel an der Existenz Gottes sind bei mir nie aufgekommen, das Vertrauen in Gottes Führung habe ich nie in Frage gestellt. Wohl aber haben sich Fragen aufgetan, auf die ich keine Antwort habe. Ich habe nicht verstanden, warum das Leben meiner ersten Frau nach zehnjähriger Ehe 1989 jäh durch einen Autounfall in Solingen an einer Mauer endete. Der Unfall war durch einen Zuckerschock ausgelöst worden. Das hat mich schon aus der Bahn geworfen. Fragen über Fragen und keine Antworten! Aber nach einer Weile habe ich mir bewusst gemacht, dass ich auch mit meinen offenen Fragen zu Gott gehöre. Das war und ist entscheidend, das war und ist mein Trost.“ 

Was hat Ihnen geholfen in dieser Situation, was haben Sie daraus gelernt?

„Ich habe gelernt, dass christlicher Glaube ‚Dennoch-Glaube‘ ist. In Psalm 73 steht: ‚Dennoch bleiben ich stets bei Dir, Gott.‘ Gott ist nicht immer zu verstehen. Es geht darum, ihm dennoch zu vertrauen. Durch den frühen Tod meiner ersten Frau habe ich gelernt, dass Tiefen ein Teil unseres Lebens sind. Aber trotz dieser Tiefen und in diesen Tiefen werden wir von Gott gehalten. Und ich habe dadurch gelernt, dass ich mein Leben eben nicht selbst in der Hand habe, so gern ich das auch möchte. Wir bleiben immer Gott ausgeliefert. Psalm 13 möchte ich in diesem Zusammenhang erwähnen. Der Beter fragt Gott in seiner Verzweiflung: ‚Wie lange willst Du mich so ganz vergessen?‘ Er fühlt sich von Gott verlassen. Und dann: ‚Ich traue darauf, dass Du so gnädig bist.‘ Also der Gott, von dem er sich verlassen fühlt. Die Gnade Gottes habe ich dann auch deutlich erfahren: Zwischen meiner zweiten Frau und den Kindern aus meiner ersten Ehe entstand ein  ganz inniges Vertrauensverhältnis. Es besteht bis heute. Einfach toll! Ich bin dafür sehr dankbar.“

Ihr Rat für Menschen in ähnlichen Lebenskrisen…?

„Trauer hat heilende Kraft, so hat es Jörg Zink in einem seiner Bücher ausgedrückt. Genau das habe ich auch empfunden. Es geht nicht darum, über seine Trauer hinweg zu kommen, es geht da-rum, diese Erfahrung zu integrieren und mit ihr zu leben. Mich hat diese Erfahrung demütiger, aber auch dankbar gemacht.“