Gute Christen – schlechte Christen
In der Geschichte des Christentums finden sich sämtliche Verbrechen wieder, die sich auch durch die gesamte Menschheitsgeschichte ziehen. Da gibt es fatale Entwicklungen, wie Kreuzzüge, Völkermord im Namen des Kreuzes, Hexenverfolgung oder die Inquisition.
Aber auch in viel kleinerem Maßstab gab und gibt es Machtmissbrauch, Unterdrückung und Abwertung von freier Meinungsäußerung, die Gier nach Geld und Vorteilen aller Art, das Einsetzen von Angst und Einschüchterung als Führungsinstrument, sowie zahllose Streitereien, Spaltungen und Konflikte. Diese Liste des Versagens könnte leider noch deutlich verlängert werden. Wenn man „die Kirche“ (egal ob rk oder ev) zum Sündenbock machen will, findet man reichlich Material, wo sie tatsächlich schwere Schuld auf sich geladen hat. Nun ist natürlich „die Kirche“ eine Institution, die als formales bzw. juristisches Gefüge ohne die Menschen in ihr nichts bewirken und nicht handeln kann. Die Handelnden, die Ausführenden sind immer Personen, die die Institution vertreten oder meinen, im Sinne der Institution zu agieren. Es sind die Menschen, die der Kirche ein Gesicht geben. Menschen prägen und formen die Institution Kirche und die Kirche prägt die Menschen. In diesem Prozess stellt sich die wichtige Frage: Wohin geht die Reise? Wer oder was gibt die Richtung vor? Anhand welcher Kriterien kann dieser Prozess überprüft und bei Bedarf die Richtung korrigiert werden?
Martin Luther hat in seinem Leben mit aller Ernsthaftigkeit danach gesucht, die Gerechtigkeit Gottes in seinem Leben zu verwirklichen. Dabei befolgte er strikt die Regeln, die ihm von der Kirche vorgegeben wurden. Er kam in eine Lebenskrise, als er erkannte, dass seine eigene Unzulänglichkeit ihn blockierte. Er erreichte nicht das Maß an Heiligkeit, das ihn vor Gott gerecht machte. An diesem wichtigen Punkt konnte Gott ihm begegnen und ihm offenbaren, dass die Gerechtigkeit im Evangelium ein Geschenk ist. Diese Offenbarung bekam er beim Studium des Römerbriefes. Die wichtige befreiende Erfahrung, dass das Wort Gottes die entscheidende Richtungsänderung in seinem Leben bewirkte, wurde für ihn zu einem Fundament. Er sah immer deutlicher, dass das Wort Gottes die bedeutende, zentrale Kraft ist, die die Menschenherzen verändern und erneuern kann. Darüber hinaus wird natürlich auch die Kirche geprägt und erneuert von den Menschen, die dem Wort Gottes diese Priorität in ihrem Leben zugestehen. Martin Luther beantwortet diese Fragen so: Es gibt keine Kirche, wo nicht das Wort des Herrn ist, und da, wo das Wort des Herrn ist, muss notwendigerweise auch seine Kirche sein.
So schlicht dieser Satz sich auch anhören mag, so herausfordernd wird er bei näherem Hinschauen. Verallgemeinernde Pauschalabwertungen, wie „Die Kirche ist ja…“ „Die Kirche hat ja….“, „Die Kirche macht ja…“, sind weder hilfreich noch weiterführend. Vielmehr muss man genau hinsehen und hinhören und dann fragen: Handelt es sich hier um Menschen, die vom Wort Gottes geprägt sind? Haben sie sich durch das Wort erneuern und ihr Leben von ihm gestalten lassen? Die Voraussetzung, um das überhaupt prüfen zu können, ist das Wort zu kennen. Deshalb Martin Luthers Anliegen, die Bibel für alle lesbar zu machen. Ganz aktuell müssen wir, die wir die Kirche bilden, uns selber fragen: Welche Priorität hat das Wort Gottes in unserem persönlichen Leben? Ist das was wir tun, was uns bewegt und antreibt eine Auswirkung der erneuernden Kraft Gottes? Geht es um unser Ansehen, um unseren Einfluss und Macht oder Geld? Oder wollen wir die Kraft des Evangeliums nutzen, um zu erneuerten, selbstlosen und auf Gottes Anliegen ausgerichteten Menschen zu werden. Jesus Christus hat zu seiner Zeit auf die gleichen Missstände hingewiesen, die wir auch heute in der Kirche finden können. Er sprach sehr scharf über Heuchelei. Heuchler sind Schauspieler, Menschen die so tun als ob. Sie geben sich fromm, während sie von egoistischen Motiven angetrieben sind.
Jesus ist berechtigt, diese Haltung anzuprangern, da er selbst ja die Möglichkeit geschaffen hat, erneuert zu leben. Sein drängendstes Anliegen ist, mit seinen Menschen in Beziehung zu leben. Nur in der vertrauenden Beziehung zu Jesus Christus können wir ihm erlauben, unser Leben zu prägen. Die Erneuerung der Kirche wird nur möglich, wenn es Menschen gibt, die zuerst sich selber verändern lassen.
Gerd Reschke