Heilige Verunsicherung – Unsere Werkzeuge schärfen
Martin Schleske ist Geigenbaumeister und Dipl.-Physik-Ingenieur. Auf dem Willow Creek Kongress in Leipzig stand er an seiner Werkbank auf der Bühne, arbeitete an einer neuen Geige und sprach über das Stumpfwerden und Schärfen von Menschen und Werkzeugen. Seine Gedanken sind vor allem auch für die Menschen wertvoll, die sich fragen, wie sie persönlich wachsen sollen, wo sie im Alltag doch eh schon auf dem Zahnfleisch gehen, um allen Anforderungen gerecht zu werden.
Unser häufiges Lebensprinzip „Das reicht schon noch“ macht Gott traurig, war der Ansatzpunkt Martin Schleskes. In der Bibel findet man in Prediger 10,10 den Satz: „Wenn die Axt stumpf geworden ist und du sie nicht schärfst, dann musst du dich doppelt anstrengen.“ Es kostet also eine ungeheure Kraft, mit einem stumpfen Herzen zu leben. Und nicht nur das: Wenn wir mit einem stumpfen Herzen leben, verlieren wir das Gefühl für unser Leben. Mit einem stumpfen Herzen empfangen wir nichts.
Es ist nicht die Schuld des Eisens, wenn es stumpf wird. Und nur das unbenutzte Eisen bleibt scharf. Es ist also, so Martin Schleske weiter, nicht schlimm, wenn wir stumpf werden. Wir müssen uns nur schärfen lassen, denn wer sich schärfen lässt, spürt seine Würde. Ein weiterer wichtiger Aspekt: Wenn das Eisen nicht scharf ist, zeichnet die Scharte das Holz. Unsere Scharten werden das zeichnen, was wir berühren – unsere Seele, unsere Beziehungen, unsere Kinder, unsere Arbeit.
Es gibt allerdings auch ein Zuviel des Schleifens, dann verbrennt das Eisen. Es wird zwar scharf, bei Benutzung allerdings sofort wieder stumpf. Wir sagen dazu Burn-Out. Die grobe Seele macht mit ihren Scharten alles kaputt. Die überfeine Seele überschleift sich durch Ungeduld – wie bei besonders gewissenhaften Menschen.
Wie also werden wir scharf? Martin Schleske nennt kurze oder lange Auszeiten, schweigende, betende Stille mit Gott, Dankbarkeit für das, was wir haben und nicht gieren nach immer mehr. Martin Schleske nennt es die „liebende Suche“. Denn: Wir werden trotz unserer „krummen Fasern“, die sich auch im Holz der Geige finden lassen, von Gott zum Klingen gebracht. Nehemia sagt: „Die Freude am Herrn ist unsere Kraft“. Es ist wichtig, sich von Gott die Quellen unserer Freude zeigen zu lassen und aus ihnen zu leben. Mit unseren gewachsenen Veränderungen und Herausforderungen.
Kein Holz ist perfekt, man kann es, wenn man seine Eigenheiten berücksichtigt, jedoch zum Klingen bringen. Oder, wie es Friedensreich Hundertwasser formuliert hat: „Die gerade Linie ist gottlos.“ Und Psalm 69 sagt: „Denen, die Gott suchen, wird das Herz aufgehen.“
Kirstin Rappmund-Gerwers