Interview mit dem Teufel
Treffpunkt ist eines seiner luxuriösen Schlösser hoch oben in einer grandiosen Bergwelt. Von hier hat man einen fantastischen Ausblick über einen großen See am Fuß der Berge und die dahinter liegende Ebene. Ich begegne einem Mann mittleren Alters mit beeindruckend maskuliner Ausstrahlung in elegantem, perfekt sitzendem Anzug, der sich so geschmeidig und selbstsicher bewegt, als wäre es das Normalste von der Welt über eine riesige Dienerschaft zu verfügen.
[columns count=“2″]Sonderkorrespondent: Ich… ääh.., ich muss sagen… also ich bin beeindruckt…!
Mr. Teufel: (lacht) Ja, wahrscheinlich haben Sie erwartet, einen haarigen Unhold mit Ziegenfüßen, Hörnern auf dem Kopf und einem Dreispieß in der Hand zu treffen. Ich muss sagen, dass ich dieses Bild für einen großen Wurf halte. Seitdem einer meiner Mitarbeiter es entworfen hat, ist es eines der bewährten Mittel, mit denen wir die Aktionen unserer Organisation verschleiern. Übrigens hat dieser ganze Luxus, den Sie hier sehen für mich und meinen Stab nicht den geringsten Wert, aber wir benutzen dieses Material, weil die Menschen es für so wichtig halten.
SK: Sie sprechen von Ihrer Organisation, ist es ein großes Unternehmen?
Mr. T.: Es gibt kein Größeres auf der Erde. (wächst sichtbar, lächelnd…) Globalisierung war für uns bereits das Thema, als noch kein Mensch wagen konnte, so etwas auch nur zu denken. Niemand hat weltweit mehr Macht, größeren Einfluss und so bewährte und effektive Methoden, wie wir. Wir kontrollieren jede Gesellschaft und verfügen über unbegrenzte Ressourcen. Dabei hat jeder meiner Mitarbeiter das Ziel, so unauffällig, wie nur irgend möglich zu arbeiten. Die größten Erfolge erzielen wir in der Regel dort, wo man uns am wenigsten wahrnimmt oder vermutet.
SK: Damit hatte ich nicht gerechnet. Können Sie mir Ihre Arbeitsweise genauer erläutern?
Mr. T.: Flexibilität ist natürlich auch ein wichtiger Faktor unserer Unternehmenskultur. Im Mittelalter beispielsweise waren für fast alle Menschen in Europa solche Begriffe wie „Sünde“, „Hölle“, „Gott“ und „Teufel“ ganz geläufig. Damals war es sehr leicht mit Angst und Leistungsdruck die Leute in unserem Sinne zu lenken. Heute dagegen wenden sich viele von den Kirchen ab und der Glaube hat in der Öffentlichkeit an Bedeutung verloren. Deshalb bieten wir ihnen Luxus, Ablenkung durch Materialismus. In der westlichen Welt ist das derzeit sehr effektiv. Übrigens sind auch hier die Werkzeuge „Angst“ und „Leistungsdruck“ fest integrierte Bestandteile zur Gestaltung der Gesellschaft und des Lebensstiles. Man kann es vereinfacht so ausdrücken: Wer sich viel anstrengt, kann sich viel leisten. Wer sich viel leistet, kann es sich nicht mehr leisten, weniger zu haben. Wer viel besitzt hat auch viel zu verlieren und muss entsprechend vorsorgen. (Schmunzeln) Menschen in Betrieb und Rastlosigkeit zu halten ist wirklich nicht schwer. Ich kann Ihnen aber sagen, dass der Materialismus global betrachtet bei unseren Aktionen eine eher untergeordnete Rolle spielt.
SK: Ist das wirklich so? Von unserem Standort betrachtet hat man doch das Gefühl, als sei der Wohlstand das einzig erstrebenswerte Ziel!
Mr. T.: In jedem Menschen gibt es ein Suchen nach dem Sinn des Lebens, eine Ahnung von irgendetwas höherem, welches über das eigene Leben hinausgeht und ein unaufhörliches Streben nach Anerkennung. Wir arbeiten ständig da-ran, individuell passende Lösungen zu bieten, die auf diese Bedürfnisse der Menschen abgestimmt sind. Die weitaus meisten meiner Mitarbeiter sind in diesem Bereich eingesetzt. Wir beschäftigen uns damit, Ideologien, Vorstellungen und Abgötter zu entwerfen. Man kann es zusammenfassend so formulieren: Wir haben einen oder mehrere Götter oder Göttinnen, die man sich günstig und wohlgesonnen stimmen muss, damit es einem gut geht, bzw. nach dem Tod oder in einem anderen Leben gut geht. Wiederum sind es die bewährten Mittel, derer wir uns bedienen, nämlich-, sie ahnen es vielleicht schon-,: Angst und Leistungsdruck! Wenn man den Zorn eines Gottes oder einer Göttin besänftigen muss, wird man möglichst viel einsetzen, um Erfolg zu haben. Je höher der Einsatz, also das Opfer ist, desto sicherer kann man sich fühlen. Allerdings achten wir da-rauf, dass immer ein kleiner Rest an Unsicherheit bestehen bleibt, damit wir das Streben nach dem Wohlgefallen der Götter in Betrieb halten. Ein wichtiger Aspekt bei den Religionen ist der, dass Menschen mit besonders großer Opferbereitschaft sich bei ihren Mitmenschen oder Anhängern Anerkennung verschaffen. Wenn dann noch ein starker Wille, Entschlossenheit und Führungsqualität dazu kommen, haben wir möglicherweise jemanden, der andere beeinflussen und hinter sich herziehen wird. Die Menschen brauchen in den meisten Fällen einen, der Ahnung hat, der ihnen sagt, wo es langgeht, der weiß, wie es richtig ist. Wenn wir solche Schlüsselpersonen kontrollieren, haben wir gleichzeitig auch die ganze Schar ihrer Nachfolger im Griff.
SK: Ich habe das Gefühl, das Effizienz in Ihrer Organisation eine wichtige Rolle spielt…
Mr. T.: Ganz genau! Es gab vor allem im Mittelalter viele künstlerische Darstellungen von der Hölle bei denen die Dämonen wie ein wüster, unsortierter Haufen wilder Unholde abgebildet wurden. Die Menschen sollen ruhig glauben, es wäre so. Ich kann Ihnen aber versichern, dass jeder einzelne meiner Mitarbeiter mit äußerster Energie und Zielstrebigkeit seine Aufgaben erfüllt.
Ich habe noch einen entscheidenden Faktor bei den Religionen bisher nicht erwähnt: Die Schlüsselpersonen, von denen ich vorhin sprach, können sich in dem befriedigenden Gefühl baden, etwas Besonderes zu sein. Sie beziehen dieses Gefühl aus der wirklichen oder vermeintlichen Einzigartigkeit ihrer Idee, Vision oder Ideologie und aus dem Erfolg, z.B. dem Wachstum ihrer Jüngerschaft, der Schlüssigkeit ihrer Ideen. Die Anhänger leben im Bewusstsein, Teil von etwas Höherem zu sein, das sie entdeckt haben. Wann immer wir die Überheblichkeit eines Menschen ansprechen, können wir mit Erfolg rechnen. Sie können mir eins glauben: Menschen sind sehr leicht zu ködern.
SK: Was Sie jetzt sagen erinnert mich an Zustände, die ich manchmal in der christlichen Szene beobachtet habe…
Mr. T.: (mit Stolz) Unser schwierigstes Terrain! Aber nicht aussichtslos. Wir haben eine Sonderabteilung eingerichtet, die sich ausschließlich damit beschäftigt, Bibeltexte zu benutzen um sie mit Angst und Leistungsdruck daran zu hindern unserem Einfluss zu entkommen. Wir lenken ihren Blick auf ihr Versagen, ihre Sünden, ihre Charakterschwächen und fördern auf diese Weise ein schlechtes Gewissen. Das ist noch immer die bewährteste Methode, sie einzuschüchtern und jegliche Entfaltung zu blockieren.
SK: Mich würde vor allem noch eins interessieren: Warum machen Sie das alles, was ist der Grund für die Vielfalt Ihrer Manöver?
Mr. T.: Meine ganze Organisation ernährt sich davon, dass wir Menschen beeinflussen, kontrollieren und besitzen. Sie sollen mir folgen, mir angehören, mir gleich werden. Ich habe es verdient, ihr Gott zu sein.
Gerd Reschke[/columns]