Morgenstimmung
Es ist früher Morgen, die Nachtluft ist noch kühl und feucht vom Tau. In den unbelebten Straßen sind zwei Menschen unterwegs. Der eine hat die Nacht durchgefeiert und wankt müde, angesäuselt und mit etwas verwaschener Orientierung nach Hause. In diesem Zustand hat er vor allem einen Wunsch: so schnell wie möglich ins Bett und nichts mehr hören und sehen. Der andere ist auf dem Weg zu seinem Job. Auch er ist müde und braucht noch ein bisschen Zeit, bis er hellwach und fit ist. Seine Perspektive jedoch ist auf den Tag gerichtet, der vor ihm liegt. Von außen betrachtet, befinden sich beide in einer Situation mit exakt den gleichen Bedingungen. Für beide ist es dunkel, beide spüren die Kühle der Nacht, beide sind müde. Doch von der Haltung, der inneren Ausrichtung her, unterscheiden sie sich gravierend voneinander. Der eine will sich schlafen legen und wenn er im Bett angekommen ist, interessiert ihn nicht mehr, was noch kommt oder um ihn herum geschieht. Der andere erwartet den vor ihm liegenden Tag. Er schmiedet Pläne, arbeitet in Gedanken durch, was auf ihn zukommt und ist schon ganz auf aktives Handeln ausgerichtet.
Dieses schöne Bild aus einer Predigt von Pfarrer Bodo Beuscher (29. November 2015 – „Die Kirche wird zur Kathedrale“) beschreibt auf treffende Weise unsere Lage als Christen in dieser Welt.
In seinem Brief an die Christen in Rom schrieb Paulus vor fast 2000 Jahren die Worte: „Macht Ernst damit – und das erst recht, weil ihr wisst, was die Stunde geschlagen hat! Es ist Zeit für euch, aus dem Schlaf aufzuwachen. Denn unsere endgültige Rettung ist nahe; sie ist uns jetzt näher als damals, als wir zum Glauben kamen. Die Nacht geht zu Ende, bald ist es Tag. Deshalb wollen wir alles ablegen, was zur Finsternis gehört, und wollen uns mit den Waffen des Lichtes rüsten. Wir wollen so leben, wie es zum hellen Tag passt. Keine Sauf- und Fressgelage, keine sexuellen Ausschweifungen, keine Streitigkeiten und Rivalitäten! Lasst Jesus Christus, den Herrn, euer ganzes Leben bestimmen, und hätschelt nicht eure alte selbstsüchtige Natur, damit die Begierden keine Macht über euch gewinnen.“ (Röm.13, 11-13 Gute-Nachricht-Bibel) Der Schwerpunkt in diesem Text, sowie im ganzen Neuen Testament, liegt vor allem darin, dass unser Leben von Jesus als dem Herrscher geprägt wird. Er ist das Licht der Welt und unsere Beziehung zu Ihm macht uns zu Kindern des kommenden Tages.
Als Jesus Christus anfing zu predigen, war Sein großes Thema eine echte Herausforderung für die Zuhörer: Leute, ihr müsst mit eurem ganzen Leben eine totale Kursänderung machen, denn die Herrschaft Gottes ist jetzt angebrochen! Damals wie heute fragten sich die Leute natürlich: Hä, was soll das? Wovon spricht der da? Die Herrschaft Gottes? Was hat sich denn geändert? Es ist doch alles beim Alten geblieben: Noch immer werden Menschen grausam unterdrückt, noch immer sterben Menschen unschuldig, müssen Kinder verhungern und werden misshandelt. Noch immer gibt es Krankheiten, Kriege und Terror auf der Welt. Gottes Herrschaft? Ist doch lächerlich! Was soll das für ein Gott sein, der dabei zusieht und nicht eingreift!?! Diese Fragen sind so berechtigt und wichtig, dass sie es verdienen, sorgfältig durchdacht zu werden.
Ein paar Aspekte
Jesus hat nicht nur vom Reich Gottes gepredigt, sondern Seine Botschaft mit entsprechenden Aktionen glaubwürdig untermauert: Da wurden Blinde sehend, Lahme konnten gehen, Aussätzige wurden geheilt und Tote auferweckt. Er demonstrierte in Seinem Handeln die Macht Gottes. Im Neuen Testament findet sich eine Fülle von Berichten darüber, wie Jesus einzelne Schicksale bemerkt, aufsucht, wichtig nimmt und verändert, heilt und befreit. Diese Macht hat Jesus jedoch nicht eingesetzt, um damit politische Veränderungen herbeizuführen, sondern sie wirkte immer ganz individuell in die Nöte einzelner Menschen hinein.
Nächster Gesichtspunkt
Als Jesus verhaftet und vom römischen Provinzherrscher Pontius Pilatus vernommen wurde, sagte Er u.a.: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt, wenn mein Reich von dieser Welt wäre, würden meine Jünger dafür kämpfen (mit dem Schwert in der Hand)“. Ich verstehe diese Ansage so, dass die Herrschaft Gottes sich fundamental von allen Herrschaftssystemen in dieser Welt unterscheidet. Jesus hat nicht noch ein zusätzliches – und natürlich weil Er es ist, besseres – politisches System begründet, wo einer oder wenige durch Gesetze und Regeln der großen Masse sagen, was sie zu tun oder zu lassen haben. Seine Macht hat Jesus niemals dazu verwendet, Menschen zu zwingen, zu manipulieren oder einzuschüchtern. Sein Reich ist ein Reich des umfassenden Friedens, völlig gewaltfrei. Deshalb ist Sein Ansatz ein völlig anderer. Jesu Augenmerk ist auf unser Herz gerichtet, das sucht Er. Er möchte unser Herz erreichen, um es zu erneuern, zu verwandeln und mit neuem Leben zu erfüllen. Veränderte Menschen werden anders denken und handeln, weil sie von innen heraus neue Ziele haben, neue Werte, neue Maßstäbe.
Hier haben wir einen weiteren Aspekt: In einem Gespräch mit einem religiösen Führer sagt Jesus: Wenn ihr nicht von neuem geboren werdet, könnt ihr das Reich Gottes nicht sehen und nicht hinein kommen. (Joh.3) Das heißt also, wenn wir zulassen, dass Gott unser Herz erreichen darf, dann wird es so von Ihm erneuert und schöpferisch, kreativ verwandelt, dass Jesus hier treffend das Bild von der Geburt einführt. Ein verändertes, erneuertes Herz, neu geboren eben. In ein völlig neues Leben hinein geboren. Ein Leben, in dem die Herrschaft Gottes als reale und bestimmende Größe erkannt und total präsent wahrgenommen wird.
Beim „Vaterunser“ beten wir den Satz: „Dein Reich komme!“. Die Herrschaft Gottes soll sich festigen und ausbreiten in unserem persönlichen Leben, aber er bedeutet natürlich auch, dass Gottes Herrschaft sich hier in dieser Welt und sichtbar für alle Menschen manifestieren soll. Die Propheten und Jesus selbst haben mehrfach angekündigt, dass der Tag kommen wird, an dem Gott das Böse, alle Ungerechtigkeit und das Leid in dieser Welt endgültig beenden wird. Es wird ein neues Reich kommen, in dem Friede, Gerechtigkeit und Wahrheit regieren werden. Auch wenn wir als Christen noch in der Nacht dieser Welt unterwegs sind, sind wir doch schon Vorboten des kommenden Tages. In der Erwartung, dass Gottes Herrschaft in dieser Welt anbricht, ist es angemessen, Ihn heute schon herrschen zu lassen in unserem Leben. Man kann es auch umgekehrt formulieren: Wenn wir Seine Herrschaft in unserem Leben zulassen, wird die Hoffnung auf Sein kommendes Reich ständig gefüttert und immer stärker werden. Unsere Perspektive ist ausgerichtet auf den neuen Tag, in dem Er als alleiniger Herrscher regieren wird zum Wohl für die ganze Menschheit. Einer von den großen Propheten formulierte schon vor fast 3000 Jahren eine Ansage, deren herausfordernde Wirkung bis heute ungebrochen gültig ist: Mache dich auf und werde Licht, denn dein Licht kommt und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir! (Jes.60,1)
Gerd Reschke