Unsere Tochter wurde mit einem Herzfehler geboren, der operativ korrigiert werden musste, als sie sechs Monate alt war. Wir hatten uns eine Kinderklinik gesucht, die auf Herzfehler spezialisiert ist. Während unseres Aufenthaltes in dieser Klinik haben wir Eltern mit ihren zum Teil sehr kranken Kindern kennengelernt. Da waren kleine Babys mit schweren Herzfehlen, die keine hohe Lebenserwartung hatten und bei denen die Ärzte mit aller Erfahrung und den medizinischen Möglichkeiten nicht wesentlich mehr ausrichten konnten, als das Leben ein wenig zu verlängern. Es war echt schmerzhaft, das Leiden dieser Kinder und ihrer Eltern zu erleben. Warum lässt Gott so etwas zu?

Ich habe ein Schicksal von einer Flüchtlingsfamilie gehört, welches mich sehr getroffen hat: Ein Vater, dessen Ehefrau von Terroristen getötet worden war, flüchtete mit seiner wenige Monate alten Tochter und seinem Sohn. Er konnte einen Platz auf einem Boot bekommen. Sie mussten in der Nacht ins Boot steigen, um möglichst unbemerkt losfahren zu können. Seine kleine Tochter begann zu schreien und weil er sie nicht beruhigen konnte, wurde sie von den Schleppern kurzerhand ins Meer geschmissen. Er musste entweder seinen Sohn oder seine Tochter allein lassen und entschied sich dafür, im Boot zu bleiben. Schwer traumatisiert kam er mit seinem Sohn in Deutschland an. Warum lässt Gott so etwas zu?

Eine Gruppe von jungen Leuten aus unserer Gemeinde war diesen Sommer zu einer Freizeit nach Spanien gefahren. Sie haben einen Tagesausflug nach Barcelona gemacht, genau am gleichen Tag, als dort ein Attentäter mit einem LKW in eine Einkaufsmeile gerast war. Mehrere Jugendliche und Mitarbeiter waren in unmittelbarer Nähe des Anschlages. Zum Glück ist keiner von ihnen verletzt worden, aber es war ein Schock für sie und auch für die Angehörigen hier, als wir davon erfuhren. Warum lässt Gott so etwas zu?

Um es gleich vorweg zu nehmen: Ich kann diese Frage nicht beantworten. Und die theologisch richtige Aussage vom freien Willen des Menschen und der damit verknüpften Verantwortung für unser Handeln scheint mir nicht wirklich befriedigend zu sein. Die andere ebenfalls theologisch richtige Antwort vom sogenannten „Sündenfall“, als Adam und Eva im Garten Eden sich entschieden, auf die Schlange zu hören und dadurch die Schleusen für das Böse in der Welt öffneten, scheint mir genauso lebensfern zu sein. Fromme Phrasen sind keine befriedigende Antwort auf echte Nöte.

Mit unserem Erfahrungsbericht möchte ich zeigen, wie es möglich wurde, mit dieser Belastung klar zu kommen.

Bevor unsere Tochter operiert wurde, haben meine Frau und ich in allen Zweifeln und Befürchtungen natürlich auch die Frage gehabt, warum lässt Gott so etwas zu? Warum ausgerechnet wir? Wenn Gott ihr Schöpfer ist, hat Er an ihrem Herz nicht so gute Arbeit gemacht? Wir bekamen in dieser konflikthaften Zeit von jemand den Hinweis, doch mal in der Bibel den Psalm 139 zu lesen. Der ganze Psalm hat uns bewegt und ermutigt, besonders diese Stelle hier:

„Denn du hast meine Nieren bereitet und hast mich gebildet im Mutterleibe. Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele. Es war dir mein Gebein nicht verborgen, da ich im Verborgenen gemacht wurde, da ich gebildet wurde unten in der Erde. Deine Augen sahen mich, als ich noch nicht bereitet war, und alle Tage waren in dein Buch geschrieben, die noch werden sollten und von denen keiner da war.“

Die Frage „Warum lässt Gott so etwas zu?“ wird davon nicht beantwortet, ja noch nicht einmal berührt. Ermutigt wurden wir dadurch, dass Gott uns zu sagen schien: „Ich habe alles im Griff, ich bin größer als eure Zweifel und Ängste, ich bin der Herr über Leben und Tod, vertraut mir!“

Wir konnten uns entscheiden: weitermachen mit der bohrenden Frage „Warum?“ Darin liegt das Potenzial, Gott Vorwürfe zu machen. Es besser zu wissen als Er und in letzter Konsequenz verbittert zu werden. Oder wir konnten uns Ihm anvertrauen. Gegen unsere rational unbeantworteten Fragen einfach entscheiden, dass wir lieber mit und bei Gott dieses Leid durchstehen wollten, als ohne Ihn. Als sich für uns heraus kristallisierte, dass es im Kern um die Frage geht: Wollen wir trotz… bei Gott bleiben? Sollen wir dennoch an Ihm festhalten? Da wurde es einfacher. Wir mussten uns nur wieder neu entscheiden, an Ihm dran zu bleiben. Neu entscheiden hinter Ihm her zu laufen. Das Gelände wurde rauher und unübersichtlich, aber Er ging ja voran und zeigte den Weg. In der Entscheidung, an Ihm zu bleiben kamen wir zur Ruhe. Sein Friede ist eine reale Erfahrung, die ich nicht erklären kann. Aber er ist unser ständiger Begleiter geblieben. Die Herz-OP unserer Tochter verlief so gut, dass wir mit ihr nach acht Tagen wieder zu Hause waren. Die Frage warum Gott das zugelassen hat, ist bis heute nicht beantwortet. Aber sie hat völlig an Bedeutung verloren.

Im Urlaub bin ich gut drauf und alles scheint so easy. Wenn ich höre, dass jemand in der Familie Krebs hat, flutscht mir das Wohlgefühl aus der Hand. Wer entscheidet eigentlich, was gut oder schlecht für mich ist? Wer hat das Recht, über Freude und Leid in meinem Leben zu verfügen? Scheint mir vermessen, dass ich selbst der absolute Maßstab für Glück und Unglück sein soll. Irgendwann kracht mein absolut richtiger Maßstab mit dem der anderen zusammen. Dann geht die Rechnung nicht auf. Ich glaube heute wirklich, dass es für mein Leben das Beste ist, dies alles in Gottes viel größere Hände zu legen. Dort haben wir, meine Frau und ich, Frieden und Geborgenheit gefunden.

Gerd Reschke