Aus Nigeria nach Deutschland – Kirstin Rappmund-Gerwers im Gespräch mit Larry A.
Warum sind Sie nach Deutschland gekommen?
Ich habe Nigeria verlassen, weil ich Probleme mit der Nigerianischen Regierung hatte. Sie hat mir gedroht, mich einzusperren und zu töten. Im Juli 2015 wurde ich im Norden Nigerias – in der Suleja Niger Provinz – ins Gefängnis geworfen, weil ich zu den Menschen aus Biafra gehöre. Ich saß fünf Tage im Gefängnis. In der kleinen Zelle – vier mal vier Meter – waren 50 Personen zusammengepfercht. Wir hatten keine Decken, kein Essen und kein Wasser. Es gab keine Sitzgelegenheiten. Sie nahmen mir mein Mobiltelefon weg und meine Familie wusste nicht, wo ich war und konnte mich nicht erreichen. Es gab keine Toilette, nur einen Eimer in der Ecke.
Wissen Sie, warum Sie gefangengenommen wurden?
Das resultierte aus meiner Position als einer der Führer des Biafrischen Volkes. Nicht als Politiker. Ich kämpfe nur für die Sache meines Volkes, das seit so langer Zeit an den Rand gedrängt wird. Ich war eine der Stimmen meines Volkes gegen die Irrationalität, Einschüchterung und Diskriminierung von Seiten der Regierung.
Wie sind Sie geflohen?
Gott weiß, wie ich fliehen konnte. Ich kann es an dieser Stelle nicht erzählen, weil es jemanden gefährden würde… Nach meiner Flucht ging ich nach Hause. Am 30. August hatten wir eine Demonstration für den Kampf ums Überleben des Volkes von Biafra, für einige unserer Mitstreiter, die wegen ihres Einsatzes für Biafra verhaftet worden waren und für die Information der Menschen über die Ausgrenzung des Volkes von Biafra. Die Demonstration fand in Onitsha (im Staat Anambra) im süd-östlichen Teil von Nigeria statt. An diesem Schicksalstag marschierten wir auf einer großen Straße. Eine Gruppe von nigerianischen Soldaten kam uns hinterher und eröffnete das Feuer. Sie haben fünf Menschen sofort erschossen und wir rannten um unser Leben. Ich rannte zu meinem Haus, holte meine Familie und fuhr aus der Gegend heraus. Von meinen Nachbarn erfuhr ich später per Telefon, dass Sicherheitskräfte meine Umgebung nach mir abgesucht haben.
Was passierte dann?
Ich floh mit meiner Familie an einen sichereren Ort an der nigerianischen Grenze. Von dort aus habe ich mein Flugticket upgedated und bin nach Deutschland geflogen. Ich war früher schon in Deutschland, hatte also entsprechende Visa.
Ihre Familie blieb dort?
Ja, sie hat keine Visa.
Haben Sie Angst um sie?
Ich habe nicht ganz so viel Angst um sie, weil ich das primäre Ziel bin. Sie können aber nicht in unsere Heimat zurückkehren und die Kinder müssen die Schulen wechseln.
Wie war es für Sie, nach Deutschland zu kommen?
Es war sehr hart für mich, weil ich nicht damit gerechnet habe, jemals ein Flüchtling zu sein. Meine Psyche war sehr niedergedrückt. Aber durch die Jüchener und besonders die Kirche Kelzenberg habe ich wieder Hoffnung bekommen.
Wie war die Situation im Erstaufnahme-Lager in Jüchen?
Anfangs war es eine schwierige Aufgabe, denn im Lager waren rund 150 Männer aus verschiedenen Ländern, Sprachen, Stämmen, Religionen, Kulturen, Bildungsstand und so weiter. Es gab also ein schwerwiegendes Kommunikationsproblem. Die freiwilligen Mitarbeiter aus Kelzenberg haben dazu beigetragen, uns zusammenzubringen, so dass wir als „Familie“ interagieren konnten ohne Ansehen der Person, des Alters, des Bildungsstandes, der Rasse etc.
Daran waren Sie aber auch beteiligt. Im Lager nannte man Sie „Obama“…
Ich habe es in die Hand genommen, Verständnis unter den Leuten zu sähen. Ich habe ihnen klar gemacht, dass die Lage für alle hart ist und dass wir alle zusammenspielen und nicht gegeneinander kämpfen sollten. Zu jedem Flüchtling im Lager sagte ich: „Wir sind gekommen, um zu leben, vielleicht nicht, um zu bleiben, aber Hoffnung ist das richtige Leben der Lebenden“. In anderen Worten: „Wenn es Leben gibt, gibt es Hoffnung.“ Du musst Deine Vergangenheit hinter Dir lassen und in die Zukunft schauen. Du musst es wertschätzen, dass Menschen Dir ihre Zeit und einige ihrer Besitztümer schenken und glücklich sein.
Welche Rolle spielt dabei Ihr Glaube?
Wie ich schon sagte, bin ich Christ. Und durch meinen christlichen Glauben verstehe ich wirklich, was es heißt, „Christus-ähnlich“ zu sein. Wir sollen nicht trennen und separieren. Wir sollen jeden so sehen wie uns selbst, ob Christ oder Muslim. Wir müssen einander lieben und einmütig miteinander leben. Das ist mein Verständnis vom Christsein und so bin ich auf meine Mitchristen, Muslims oder Angehörigen anderer Religionen im Lager zugegangen. Diese Liebe, die ich ihnen entgegengebracht habe, hat dazu beigetragen, dass alle zusammenstanden und miteinander – wie in einer Familie – geteilt haben.
War das eine neue Erfahrung für Sie?
Schon in meiner Kindheit habe ich mich immer in der Rolle des Anführers meiner Gruppe wiedergefunden. Es scheint einfach in meiner Natur zu liegen, Leute zusammenzubringen. In meiner Sekundarschule in Nigeria war ich der Senior Prefect und habe sichergestellt, dass jeder gleich behandelt wurde. Dafür haben sie mir den Spitznamen „Larry Marshall“ gegeben, der sagte, dass ich immer der Kopf bin. Das war also sehr früh schon in meiner Persönlichkeit angelegt … Bislang hatte ich jedoch nicht die Gelegenheit, mit Ausländern aus verschiedenen Kulturen, Religionen und Backgrounds zusammen zu sein. Das ist das erste Mal für mich und war eine entsprechend große Aufgabe. Einmal schlug mich einer der Jungs im Camp, aber ich habe ihn immer noch wohlwollend angenommen. Er konnte es nicht glauben, als ich ihm die Hand reichte. Seitdem war er sehr freundlich.
Was sind Ihre Erwartungen an Ihr Leben in Deutschland?
Das Wichtigste ist politischer Schutz. Von da aus will ich sehen, wie ich den nachfolgenden Flüchtlingen helfen kann. Wenn möglich, möchte ich gern Internationale Beziehungen studieren. Das könnte mir vielleicht den Weg ebnen, global zum Weltfrieden beizutragen.
Vielen Dank für Ihre Offenheit. Wir wünschen Ihnen alles Gute für Ihre Zukunft.