Praktische Nächstenliebe als Christenpflicht
220 Pastoren kamen mit Fahrrädern oder in Einbäumen viele hundert Kilometer aus dem Urwald zur Generalversammlung der Kirche.
Richard (Verantwortlicher der Cadelu-Kirche für Diakonie und Vertrauensmann von Peter Gohl im Kongo, d. Red.) durfte da jetzt seine Arbeit vorstellen und erklären, dass praktische Nächstenliebe Christenpflicht sei, Singen und Beten alleine wohl zu wenig seien. Nachher sagten alle zu, dass sie ab sofort in ihren Gemeinden Bedürftigen helfen wollen. Fünf Kirchenkreise verpflichteten sich sogar, Richards Reise und andere Kosten mit zu tragen. Das ist da jetzt ganz neu. Menschen mit einem Herz für andere gibt es da wie hier, aber dass Nächstenliebe Glaubensergebnis und Gottesdienst ist, das war total neu.
Angefangen hatte alles 2002 zur Zeit der Rebellen, als Gott mich durch die Gemeinde Kelzenberg nach Basankusu schickte. Damals waren alle traumatisiert und völlig arm und abgeschnitten von aller Versorgung. Aber die Gottesdienste waren überfüllt und dauerten endlos lang. Ich habe damals böse gefragt: „Denkt ihr, dass Gott eure getanzten Gesänge und diese superlangen Gebete in der Kirche erhört – oder hört er eher das Jammern der hungrigen Witwen und Waisenkinder draußen?“
Gute Menschen hier in Deutschland haben mir aber immer Geld geschickt, damit ich auch helfen konnte. Und Richard und andere haben Hütten für Obdachlose gebaut. Irgendwann später meinte dann mal der Oberhäuptling der Kirche, ob man daraus nicht eine Abteilung Diakonie machen könne, wie die Europäer das so haben. Das war ein zweiter Schritt, und ‚le département diaconie‘ wurde eröffnet, und Richard bekam einen Platz im Kirchenbüro. Ich habe vergessen, wie vielen kranken, behinderten Kindern und Erwachsenen wir haben helfen können. Finanziell war aber alles total von mir abhängig und natürlich den Spendern hier.
So habe ich angefangen, rum zu stänkern: „Ich bin alt und am Sterben, und eure schöne Diakonie stirbt bald automatisch mit mir!“ Das rief absolutes Unverständnis bei allen hervor. Mit Lebensmitteln könnte die Kirche helfen, aber Geld kam ausnahmslos nur aus Europa. Ich habe mich oft geschämt, als Deutscher knauserig zu sein, und von so armen Leuten Geld zu erwarten. Aber anders bleiben sie ewig von Weißen abhängig.
So habe ich fast 16 Jahre lang mit allen nur rumgezankt und immer geschrieben: „Nur wenn du auch was gibst, werde ich deinem Kranken helfen!“ Das war oft riskant, wenn es um Leben und Tod ging. Gut, dass ich mindestens so beten kann wie die da, und bis jetzt ist auch noch alles halbwegs gut gegangen.
Richard muss in seiner neuen Position jetzt aber ständig Dampf machen, dass die Versprechen auch umgesetzt werden. Sonst ist doch alles wieder umsonst.
So hat sich still und leise etwas entwickelt, wofür ich nichts konnte. Und wie das mal weitergeht, weiß nur der, der bisher alles so zusammengefügt hat.
Peter Gohl