Viele Tage sind vergangen, und du kannst nicht mehr wissen, wie es uns geht, und was wir machen. Jetzt will ich dir von unserer Kinderstunde im Militärcamp erzählen. 

Ich, die Mama Pistouna und Mama Bébé, Mama Mboyo, Mama Jeudi, Mama Eponko hatten Essen vorbereitet und sind mit Tata Mondjindo und Tata Pasteur Jérémie ins Camp Bokala gegangen, um dort die 18 Waisenkinder zu besuchen. Das machen wir ja schon lange jeden Samstag, und wir sind da fest geduldet.

Meistens geben wir den Kindern Bohnen und Reis mit Fisch. Das mögen sie am liebsten. Und das ist ihr einzig richtiges Essen während der Woche, denn an den anderen Tagen müssen sie sich selbst versorgen. Pondublätter gibt es hier in Mengen, und die stampfen und kochen sie ohne Salz, Öl oder etwas anderes. Aber von diesem einseitigen Essen bekommen sie dicke Bäuche und vor allem viele Krankheiten. Manchmal haben sie aber auch Glück, wenn sie sich selbst kleine Fische im Bach fangen können. Als alle satt waren, hat Pastor Jérémie den Kindern von Jesus erzählt und wie lieb der ist. Wenn man Liebe Platz macht, kommt Jesus ins Herz und verändert uns.

Wir dürfen im Militärcamp eigentlich keine Fotos machen, aber an diesem Samstag war der General da und hat unsere Arbeit sehr gelobt und sogar Geld gespendet. Da durften wir ausnahmsweise auch Fotos von den Kindern machen. Nachher hat er aber die Kamera kontrolliert. Zu sehen, wie die Kinder da leben, macht einen ganz traurig. Sie haben auch kaum Kleidung. Wir können ihnen aber nichts geben, denn es gibt zu viele halbnackte Kinder im Camp, und es gäbe eine Revolte, wenn nicht alle etwas bekämen. So sind wir denn alle in gedrückter Stimmung wieder nach Hause gegangen.

Aber am Montag sind Pastor Jérémie und ich wieder zurückgekommen und haben zwei Kinder aus dem Camp geholt: Platini zehn und Clarissa sieben Jahre alt. Ihre Geschichte ist so schrecklich. Ihr Papa ist im Gefängnis gestorben, und der neue Mann der Mama hat seine Frau verlassen, als sie im achten Monat schwanger war. Niemand half ihr, und so starb sie mit dem Baby bei der Entbindung. Ihre beiden Kinder hatten in einer Lagerhalle zwischen Autowracks geschlafen.

Nun hat Mama Lionie vom Waisenhaus die beiden mit aller Liebe aufgenommen. Wahrscheinlich wird es ihnen bald besser gehen. Abends habe ich lange über die Kinder und alles Elend in der Welt nachgedacht. Ich hatte gelesen, dass  Gott mal zu dem jungen Jeremia gesagt hat: „Ich habe dich schon gekannt, ehe ich dich im Mutterleibe entstehen ließ, und ich hatte meinen Plan mit dir, ehe du von deiner Mutter geboren wurdest.“ Ist es vielleicht auch Gottes Plan, dass es uns und unseren Kindern so gut geht – und anderen so schlecht? Dann sollte ich Gott viel mehr danken und auch helfen, wo ich eben kann.

Tikala malamu, Ich Mama Pistouna

Vom Vatersein im Kongo

Nach einem Foto, das ich verbotenerweise an einer Stelle in Kinshasa gemacht hatte und einem folgenden Handgemenge um meine Kamera, wurde ich verhaftet.

„Wie heißt du“, wurde ich gefragt. „Ich heiße Joseph Bakemo und bin der Vater von General Joseph Bakemo, Polizeichef der Provinz Équateur“, war meine feste Antwort. Alles wurde dann noch etwas verkompliziert, aber dieser Spruch veränderte den Prozessverlauf um hundert Prozent.

Als Elisabeth und ich 1982 nach Basankusu in den Zaïre-Kongo kamen, gab man uns den Namen des ersten ordinierten schwarzen Pastors. Tata und Mama Bakemo heißen wir seitdem. Der alte Bakemo lebte da noch und war wohl 105 Jahre alt. Er nahm uns damals sofort in seine lange Gebetsliste auf. Wir wurden aber auch ganz in die Familie aufgenommen, mit allen Vor- und Nachteilen. Als ich zum ersten Mal nach Boeke, ins Stammdorf der Bakemos kam, wollte man mir da eine Ziege als Brandopfer geben: „Unser Sohn betritt die Erde der Väter. Die Erde soll jetzt das Blut dieser Ziege trinken!“ Irgendwie konnte ich die Opferung dann aber doch noch abbremsen, so dass das Todesurteil für das Tier in lebenslänglich umgewandelt wurde.

Oma Bakemo besuchte uns öfter und brauchte dann auch meistens irgendwas. Mama Bakemo war eine Bärenfrau, sie hatte zehn Kinder – auch ohne Hochzeit. Aber alle Kinder haben Karriere gemacht. Joseph Bakemo, mein Sohn, wurde tatsächlich General und Polizeichef der Provinz. Ich muss dazu erklären, dass man im Kongo sehr wohl Vater von jemandem sein kann, ohne je etwas mit dessen Mutter gehabt zu haben. Manche schöne Kinder haben hier ja auch mehrere Väter. Man muss in der richtigen Reihe stehen, dann geht im Kongo fast alles. Wir gehörten jedenfalls dermaßen zur Bakemo-Familie, dass Elisabeth einmal drei Tage lang Durchfall von Mama Bakemos Gemüseeintopf hatte. Sohn Joseph ließ einmal, als wir aus Deutschland kamen, in Mbandaka eine ganze Kompanie auf dem Flugplatz stehen, die zum Empfang des Gouverneurs aufmarschiert war, und begrüßte uns. Er lud uns auch einige Male zu einem großen Essen in seine Residenz. Inzwischen ist er an Bluthochdruck und Diabetes in Kinshasa gestorben, und wir sollten eigentlich nach Kinshasa zu seiner Beerdigung geflogen sein.

Hier in Deutschland sind meine Nationalität, meine Familie und die Freunde wichtig. Im Kongo helfen die nicht mehr, da hilft nur noch die Zugehörigkeit zum richtigen Stamm und die Freundschaft einer guten und einflussreichen Familie.

Wir haben es echt gut, denn wenn wir mal in den Himmel wollen, gehören wir dort zur Familie Jesu. Da wollen wir zusammen mit der ganzen Bakemo-Sippe singen: „Yesu ndeko na bolingo – Welch ein Freund ist unser Jesus!“ Jesus ist ja schon längst da und regelt allen Quatsch und alle Fehler, die wir mal gemacht haben.

Ohne Freunde und Beziehungen kommst du im Leben nicht weit und im Sterben erst recht nicht. Also pflegen wir jetzt schon mal ein bisschen die Verwandtschaft mit Jesus.

Peter und Elisabeth Bakemo

An einem Samstag kam ich nachmittags mit der Yamaha in dem Urwalddorf Lofoi an, und die Gemeinde empfing mich sehr herzlich.

Als es abends ruhiger wurde, fragte ich einen der Chordirigenten, ob sie denn am Sonntag singen würden. „Wir singen ein ganz neues Lied. Die Mama Ibiya hat es uns Anfang der Woche vorgesungen. Sie kann das. Nachts im Traum bekommt sie Lieder von Gott mit Text und Melodie, und am Morgen singt sie uns die dann vor. Ich schreibe das dann in mein Heft. Manchmal ändern wir noch ein bisschen. Aber dann üben wir, und morgen früh kannst du das neue Lied hören.“

David, der Hirte und König, wird die Psalmen wohl mal ebenso zustande gebracht haben.

Am Sonntagmorgen saß ich dann mit Pastor Alanda vorne in der Lehmkirche hinter einem wackligen Tischchen, das als Altar diente. Weil der Lehmboden so uneben ist, wackeln da alle Tische und Stühle. Eine Schüssel mit Maniokwürfeln und ein Krug mit irgendeinem Natursaft standen darauf und eine Menge winziger Plastikkelche. Die Sonne schien an einigen Stellen durch das Palmenblätterdach, und drei Chöre hatten schon zu ohrenbetäubendem Trommellärm mit viel Tanz und mit ebenso viel Mimik biblische Geschichten vorgetragen. Das neue Lied kam danach dran und war genau so laut.

Danach wurde es verhältnismäßig still, und die Frauen gingen mit ihren Babys raus, um sich zum Tanz zu formieren. Alle klatschten dann in die Hände oder hatten entweder eine Rassel oder Trommel dabei. Langsam, zwei Schritte vorwärts und einen dreiviertel Schritt rückwärts, tanzten sie singend und trommelnd mit strahlenden Gesichtern in der Kirche nach vorne, wo ein Mann mit einem großen Korb für die Kollekte stand.

Der Pastor stieß mich an und sagte: „Sieh mal, wie sie sich jetzt freuen. Sie sind jetzt alle ganz eins und singen die alten Lieder, dass Jesus uns zu Gotteskindern gemacht hat und dass kein Vater seine Kinder im Stich lässt. Jetzt, im gleichen Rhythmus, fühlen sie die Gemeinschaft miteinander und mit dem Herrn Jesus, der mit ihnen tanzt. Sie vergessen einen Moment lang ganz und gar den Hunger, ihre Rückenschmerzen und ihre kranken Kinder zu Hause und sind absolute Gemeinschaft zusammen und mit Jesus.“

Es dauerte lange, bis die Frauen alle ihre Gaben dahin getanzt hatten. Nur sehr wenige Frauen hatten Geld. Die meisten brachten Naturalien – ein Huhn, ein paar Eier, Brennholz, Bananen. Danach kamen die Männer. Das ging schneller, und ich weiß nicht, ob die wirklich alle so ganz eins geworden sind.

Ich sprach später mein Grußwort, und nach zwei Stunden begann die Predigt. In der Hitze schliefen viele ein. Die Predigt war ja laut gebrüllt, aber nicht besonders aufregend. Danach kam das Abendmahl. Das wurde einfach durch die Reihen gereicht, während ein Chor sang. Aber beim Getrommel des Schlussliedes waren alle wieder hellwach. Der Pastor stand nach dem Segen zuerst auf, und ich ging mit ihm zur Türe. Jeder gab uns singend die Hand und stellte sich zu uns, so dass sich draußen ein großer Halbkreis abzeichnete. Als jemand mit der großen Trommel raus kam, ging es erst mal richtig los. Das war ihre Methode zu evangelisieren. Leute, die auf der Straße vorbeikamen, sahen die fröhlich singenden Menschen, und manch einer sagte sich: „Nächsten Sonntag geh ich da auch mal rein. Vielleicht verspüre ich auch mal diese Freude und kann mitsingen und tanzen.“

Peter Gohl

„Typisch Kelz“ veröffentlicht in loser Folge Briefe, die unser Freund Peter Gohl aus dem Kongo erhält. Gohl ging 1982 mit seiner Frau Elisabeth erstmals als Missionar in den Kongo und hat die persönliche Verbindung zu den Menschen auch als Rentner mit nunmehr 78 Jahren  nicht abreißen lassen. Heute  schildert er seine persönlichen Eindrücke von einem Gottesdienst im Dschungel.

Ostern sind wir mit der ganzen Gemeinde und unseren Waisenkindern zum Militärcamp Bokala gegangen, um zusammen mit den Waisenkindern im Camp den Ostergottesdienst zu feiern. Die Frauen der Gemeinde hatten Essen vorbereitet, denn, wer Hunger hat, kann keine Osterfreude kriegen. Über Lukas 24,6 habe ich gepredigt und erzählt, dass die Leute damals traurig und ratlos um das leere Grab herumstanden. Bis der Engel sagte: ‚Er ist nicht hier, er ist auferstanden.‘

[columns count=“2″ gap=“2em“]Manche wollten nicht glauben, dass Jesus auferstanden ist. Wenn aber Kinder oder Soldaten oder andere Erwachsene sagen: ‚Wir wollen das glauben und ab jetzt fest mit Jesus rechnen, dann werden die erleben, dass er lebt!‘

Den Waisen im Camp geht es schlecht. Bradime ist 11. Ihr Papa fiel im Krieg gegen die Eyele-Rebellen, und ihre Mama starb kurz danach. Irgendwie ist das Kind bis jetzt  am Leben geblieben, hat aber nichts mehr zum Anziehen. Mit den Eltern ging sie früher gerne zum Gottesdienst, jetzt geht das nicht mehr, denn sie hat nur noch Fetzen am Leib. Ihr und einigen anderen konnten wir helfen. Aber da fingen alle Waisenkinder an zu jammern. Wir konnten die meisten aber leider nur vertrösten.

Wir hatten die Genehmigung bekommen, den Gottesdienst im Schatten am Rande des Paradeplatzes zu feiern, und fast alle Soldaten mit Frauen und Kindern kamen dazu und freuten sich mit uns. Selbst der Oberst hat sich nachher bedankt, und gesagt, dass wir doch wiederkommen sollen, um den armen Waisenkindern im Camp wieder mal eine Freude zu machen.

Fotografieren war uns aber strengstens verboten, und wir mussten leider gehorchen.

Viele Geschichten haben wir gehört, und Joel, ein kleiner Junge, sagte uns: ‚Meine Eltern haben mir Osten und Weihnachten immer mit Geschenken viel Freude gemacht. Seit sie tot sind, gibt es keinen Menschen auf der Welt, der mich haben will oder mir eine Freude macht. Ich weine immer noch um meine Eltern, aber wenn die großen Feste kommen, werde ich so traurig, dass ich am liebsten sterben möchte. Heute habe ich zum ersten Mal wieder was geschenkt bekommen. Könnt ihr nicht öfter oder wenigsten Weihnachten und auch Ostern wiederkommen?‘

Wir haben in diesem Militärcamp die ganz große Auferstehungsfreude bekommen.

An den Auferstandenen muss man ja auch nicht mühsam glauben, man kann doch erleben, dass er wirklich bei uns ist und nicht in einem Grab liegt.

Den Segen und die Kraft und Freude des Auferstandenen wünscht euch allen,

Pastor Jérémie Nkole Ekomba.[/columns]

Natürlich sind die Gedanken frei, aber wie wäre es, sonntags nicht in eine einladende, lebendige Gemeinde gehen zu können und gute, auch provokante Predigten zu hören, zu singen und Jesus zu feiern? Oder unter der Woche keinen Hauskreis zu besuchen, keine Musik mit anderen Christen zu machen, keine christliche Bibliothek zu haben, noch nicht einmal die Bibel angstfrei lesen zu können? Kaum vorstellbar. Zur Zeit werden weltweit ca. 100 Millionen Christen wegen ihres Glaubens an Jesus verfolgt und diskriminiert. Open Doors ist eine internationale Organisation, die sich in den Dienst der verfolgten Christen weltweit stellt.

[columns count=“2″ gap=“2em“]Seit der Gründung durch Bruder Andrew vor über 50 Jahren ist die Vision von Open Doors, dass jeder verfolgte Christ mindestens einen Christen an seiner Seite wissen soll, der für ihn betet und einsteht. Mit Projekten werden bedrängte Christen darin unterstützt, trotz Verfolgung ihr Christsein zu leben, ihre Gemeinden zu stärken und auch in einer feindlich gesinnten Umwelt das Evangelium zu verkünden. Open Doors hilft dabei christlichen Kirchen aller Bekenntnisse.

Weltverfolgungsindex

Mit dem jährlich aktualisierten Weltverfolgungsindex benennt die Organisation die 50 Länder mit der stärksten Christenverfolgung und ruft zu Gebet und zur Unterstützung der Christen in diesen Ländern auf. In 2013 waren „die Top Ten“ Nordkorea, Saudi-Arabien, Afghanistan, Irak, Somalia, Malediven, Mali, Iran, Jemen und Eritrea.

Dabei versucht der Weltverfolgungsindex nicht nur die physische Gewalt gegen Christen zu quantifizieren, sondern auch die oft viel wirksamere und übermächtigere Form der Verfolgung durch sozialen Druck einzubeziehen. Laut Open Doors droht den meisten Christen die größte Gefahr von der seit den 1980er Jahren langsam und stetig voranschreitenden Islamisierung, die alle Gesellschaftsbereiche durchdringt. Plötzlich sind Christen Bürger zweiter Klasse in einem Land, in dem sie einst willkommen waren und das ihnen nun mit Feinseligkeit begegnet. Über vom Islam konvertierte Christen sagt Elias, ein Open Doors Mitarbeiter im Mittleren Osten: „Ein ehemaliger Muslim gibt mit dem Islam seine Identität auf. Es ist mehr als nur ein Religionswechsel … . Er benötigt eine neue Identität. Ein ehemaliger Muslim verliert seinen Erbanspruch, er ist ausgestoßen aus dem weitläufigen Familienverbund. Meist verliert er seinen Arbeitsplatz.“ Zugleich warnt er vor Konfrontation: „Das Gebet der Christen bringt Veränderung. Von vielen Seiten wird versucht, Ablehnung zu schüren. Etwa wenn gesagt wird, dass der Islam unsere Zivilisation zerstören will und Christen keine Zukunft mehr haben. Doch wir wissen, dass Gott alle Menschen liebt. Die Bibel spricht von einer neuen, friedvollen Erde, die Jesus schaffen wird. Deshalb: Anstatt Muslime zu fürchten, liebt sie und respektiert sie.“[/columns]

Kirstin Rappmund-Gerwers

Einen ganzen Tag war ich von Basankusu mit einem Bautrupp in einem Einbaumboot den Regenwaldfluss Lopori im Kongo hinaufgefahren. Dann hatte uns ein Händler noch 20 km mit seinem Allradfahrzeug bis nach Munda mitgenommen. Hier reparierten wir eine Woche lang das alte unbewohnte Missionshaus. Zum Abschluss bekamen die schwarzen Handwerkerjungs eine Abschlagszahlung, wuschen sich und gingen ins Nachbardorf, um hübsche Mädchen und verschmitzte Palmweinzapfer zu besuchen.

[columns count=“2″ gap=“2em“]Nach einiger Zeit kam Lontongo ganz verstört zurück gerannt und schrie dabei fortwährend: ,,Hier gibt es ganz, ganz schlimme Menschen.“ Die anderen waren ihm nachgelaufen und wollten ihn beruhigen, aber er wehrte sich fanatisch und biss wie ein Hund. Sechs Mann brauchten wir, um ihn zu überwältigen und zu fesseln. Festgebunden auf einem Stuhl, trugen ihn wir ihn zum Pastor. Beim Verhör stellte sich heraus, dass alle Marihuana geraucht hatten. Pastor Babombagala betete, und wir sangen ein Kirchenlied. Lontongo wurde ruhig, und der Pastor fragte ihn, ob er getauft sei und bereuen würde, dass er als Kind Gottes geraucht habe. ,,Ja, sicher“, war die Antwort. Dann folgte ein Lossprechungsgebet mit Handauflegung, und nachdem wir noch ein Lied gesungen hatten, sagte Pastor Babombagala: ,,Bindet ihn los, und lasst uns jetzt essen. Es wird sonst kalt.“

Auf der Rückreise am nächsten Tag hat mir Lontongo alles im Detail erzählt: „Jemand hat uns gefragt, ob wir mal den Teufel sehen wollten und hat uns allen in die Augen geblickt. Alle andern haben gelacht, aber ich habe den Teufel gesehen. Er sah furchtbar aus und hat zu mir gesagt: ,Lauf in den Dschungel!‘ Aber eine andere Stimme hörte ich sagen: ‚Lauf zu Ezali Mokili!“ (Kosename von Peter Gohl im Kongo. Übersetzt etwa: So ist das Leben, die Red.) Dieser Stimme bin ich gefolgt, und so lebe ich.“

Zuhause angekommen, machte die Geschichte schnell die Runde. Aber eines Abends kamen die finsteren Gedanken und die schlimmen Gestalten wieder zu Lontongo. Er musste wieder gefesselt werden. Ich bin dann jeden Abend mit einem schwarzen Freund zu ihm gegangen, um zu beten. Er wurde dann immer ruhig, aber nicht wirklich heil. Dann habe ich ihn zu einem Arzt gebracht, der aber nichts feststellen konnte. Später haben wir ihn per Flugzeug zu einem amerikanischen Spezialisten geschickt. Als er aber nach zwei Wochen zurückkam, schien er fast tot – zum Skelett abgemagert. Um sich beißend und schlagend, erkannte er sogar mich nicht mehr. Ich war verzweifelt. Soviel hatte ich unternommen, soviel gebetet.

Dann kam Pépé und sagte: ,,Die Alten haben beschlossen, dass Lontogos Leiden medizinisch nicht geheilt werden kann, sondern nur spirituell. Komm, fahr uns mit deinem Auto nach Lilangi zur Zauberin.“ – „Ich bin evangelischer Missionar, ich kann das nicht, ich darf das nicht, und ich will das auch nicht“, sagte ich. Wir verhandelten lange, aber ich blieb evangelisch.

Blutrache ist da im Dschungel normal, und so beschlossen die Ältesten, Lontongo zu mir zu tragen. Wenn er denn bei mir starb, hatten sie einen Schuldigen. Bestimmt 200 Menschen brachten Lontongo. Pastor Benji Lofinda stoppte den Zug vor seinem Haus. Nach hitziger Debatte über den unbelehrbaren Weißen, hörte ich auf einmal Pastor Benji mit fester Stimme sagen: ,,Den Jungen bringt ihr nicht zu dem Weißen. Er kommt zu mir ins Haus. Und ihr geht jetzt alle nach Hause. Ihr werdet sehen, was mein Gott kann. Los, haut ab!“

Lontongo sah aus, als ob er gleich sterben würde, aber er wollte immer noch beißen wie ein Hund. Wir brachten ihn und seine Mutter in Benjis Pastorenhütte. Ich hatte absolut allen Glauben verloren. Aber Benji rief die Ältesten, und sie beteten, dass Lontongo ruhig werden solle. Und er wurde tatsächlich still. Am nächsten Tag beteten sie, dass er wieder essen und trinken solle. Lontongo aß und trank. Am dritten Tag waren schon so viele Menschen da, dass wir in die Kirche ausweichen mussten. Da beteten sie, dass Lontongo wieder sprechen solle. Auf einmal grinste er und sagte: ,,Mbote na bino!“ (Hallo ihr).

Ein halbes Jahr blieb Lontongo mit seiner Mutter beim Pastor, der bei allen passenden und unpassenden Gelegenheiten für ihn betete. Dann war er wieder so weit, dass er arbeiten konnte. Benji verbot ihm aber, in seinem Heimatdorf zu leben, weil da die bösen Erdgeister wirkten. So bauten wir eine Hütte zwischen dem Pastorat und unserm Haus. Da ist er aus Angst einige Jahre geblieben, wurde aber wieder der zuverlässige Vorarbeiter unserer Bautruppe.

Als meine Zeit in Kongo-Zaïre zu Ende ging, wollte sich Lontongo ein eigenes kleines Haus bauen – in seinem Dorf. „Ich habe keine Angst mehr! Ich habe so viel mit Jesus erlebt. Der ist stärker als alle Geister. Ich bin ganz sicher, dass er mich auch in meinem Dorf bewahren wird!“ – Da konnte ich nur noch sagen: ,,Gott segne dich!“

Jesus sprach ein Machtwort zu dem bösen Geist, der den Jungen in seiner Gewalt hatte, und der Junge war von da an gesund. Die Jünger fragten Jesus: „Warum konnten wir den bösen Geist nicht austreiben?“ – „Weil ihr Gott nicht genug vertraut“, sagte Jesus. (Mt 17,18)

Wir Europäer leisten uns heute Psychotherapeuten…

Peter Gohl [/columns]

Richard hatte Malaria. Und das ist schlimm – für einen selbst und für alle im Umfeld. Man hat enorm hohes Fieber und fühlt sich so kotzelend, dass man am liebsten dauernd sterben möchte. Man kann nicht mehr klar denken. Alle Gelenke tun weh. Und man verliert seinen Glauben und fühlt sich absolut untröstbar. Bei mir selbst war das früher auch noch immer mit ganz furchtbarem Heimweh verbunden. Richard hat mir folgenden Brief zu seiner persönlichen Situation geschrieben:

[columns count=“2″ gap=“2em“]„Ich kann zwar wieder auf zwei Beinen stehen, fühle mich aber immer noch ganz elendig, auch, weil man bei einem meiner liebsten Enkeltöchterchen Lepra festgestellt hat.

Es fing mit einem hellen Fleck am Bein an. Jetzt nimmt das Arme Pillen, wovon ihr schwindelig wird. Aber das ist noch nicht alles. Nein, jetzt ist auch noch meine Frau Nanella krank geworden und liegt da mit furchtbaren Schmerzen im Bauch und am Ischias, oder so. Manchmal fällt ja alle Kümmernis auf einmal über einen her.

Eines Abends kamen Gemeindefrauen mit Geschenken, um mit Nanella für Heilung und Trost zu beten. Als sie zu Ende gesungen und gebetet hatten, habe ich den frommen Müttern die ganze Ungerechtigkeit der Welt und alle Zweifel an Gott und meinen ganzen Kummer entgegen gehalten. Ich habe auch von der Lepra bei uns gesprochen, davon, dass die anderen Kinder wohl auch angesteckt werden würden. ‚Schön, dass ihr gebetet habt, aber meine Gebete gelten in Gottes Ohr gar nichts mehr. Er interessiert sich überhaupt nicht für meine Probleme!‘ Da hat eine der Omas gesagt: ‚Richard, mein Junge, du bist ganz dumm, wenn du meinst, dass Gott jemals macht, was du willst und was du gut findest. Nur Gott allein weiß, was wirklich gut ist. Wer nur glaubt, wenn es ihm gut geht und alles nach Wunsch verläuft, ist wie jemand, der Wasser vom Brunnen in einem Korb nach Hause tragen will!

Junge, du brauchst einen Eimer für deinen Glauben und keinen Korb. Der Eimer heißt: Befiehl dem HERRN deine Wege und hoffe auf ihn, er wird‘s wohl machen. Psalm 37. Hast du nicht gesehen, wie Gott dich und uns alle bis hierher getragen und ertragen hat und uns geholfen hat? Gib ihm jetzt auch den Rest. Er wird‘s wohl machen!‘ Dann hat sie Nanella und ihre Pillen gesegnet, ist gegangen, und ich habe meinen Frieden im Herzen wieder gefunden.“

Bananen kann man im Korb tragen. Die sind fest. Aber Wasser und Glauben brauchen einen Eimer – einen, der ganz dicht ist. So hoffe ich, dass unser aller Glaube im Eimer ist.

Peter Gohl[/columns]

Ich glaube, Jerry ist der liebste Mensch in ganz Afrika, und ich hoffe, meine Meinung nicht irgendwann einmal revidieren zu müssen. Ich habe aber noch nie einen Jungen gesehen, der so uneigennützig und anscheinend in absoluter Gottesnähe lebt.

[columns count=“2″ gap=“2em“]Über Jahre habe ich miterlebt, wie er sich durch Gartenarbeit sein Schulgeld verdient hat. Nie hat er mich angejammert. Am liebsten wäre er Mönch geworden. Aber dafür ist er noch zu evangelisch. Irgendwann haben Richard und ich ihn für Probleme im Nahbereich eingestellt, überall dort, wo man mit dem Fahrrad oder zu Fuß hin kann. So ist er auch für Behinderte und die Alten zuständig. Jerry hat mir einmal folgenden Brief geschrieben:

„Meine Arbeit ist sehr vielseitig, aber im Altersheim war jetzt großes Chaos. Der blinde Wetsi hat immer nur Frauen im Kopf. Früher lebte er mit einer Frau, und die beiden verstanden sich zeitweise recht gut. Ich sah, dass die Frau ein Segen und eine große Hilfe für ihn in seiner Blindheit war. Aber diese Frau war verrückt und wurde von einem Geist der Unordnung geleitet. So trennten sie sich, aber schon kurz danach hatte Wetsi eine neue, ganz vernünftige Frau.

Endlich zwei Frauen

Nur, es dauerte nicht lange, da kam die alte zurück, und Wetsi freute sich, nun endlich zwei Frauen zu haben. Ich sah, dass das nicht gut gehen würde und im evangelischen Heim auch unmoralisch ist. So habe ich Richard und Wetsi mit seinen Frauen geholt. Zusammen hielten wir einen Tag des großen Gerichts ab. ,Wetsi, es ist nicht richtig, zwei Frauen zu haben. Wenn du nicht eine wegjagst, fliegt ihr alle drei aus diesem Heim. Dann kannst du irgendwo mit so vielen Frauen leben, wie du willst. Also, sei vernünftig und jage die Verrückte weg!‘

Mit Dreck beworfen

Wir sahen sofort, dass Wetsi Angst bekam, und er versprach vor der ganzen Gemeinde und dem Pastor, sich von dieser Frau zu trennen. Als wir dann aber nach Hause gingen, hat die Verrückte uns  beschimpft, mit Steinen, Dreck und Holz beworfen. Wir machten  schnell das Tor hinter uns zu, aber sie hat den ganzen Tag draußen rumgebrüllt, das Tor verschmutzt und uns abscheulich verflucht. Wir antworteten aber mit keinem Wort.

Frieden und Ordnung schienen wieder ins Altersheim einzukehren. Aber nach drei Tagen hörte ich vor dem Tor jemanden jammern – da stand die böse Frau mit ihrem kleinen Kind auf dem Rücken und weinte: ,Ach, vergib und hilf mir doch. Das Kind ist ganz heiß und hat wohl Gelbfieber. Es stirbt! Hilf mir bitte im Namen Jesu.‘

Ich war noch immer voller Wut über diese Frau, aber dann sah ich das Kind auf ihrem Rücken und wusste, dass ich ein großes Problem mit Gott bekäme, wenn ich mich jetzt weigern würde zu helfen. Nicht gerade freundlich holte ich mein Fahrrad, setzte die Frau mit dem Kind auf den Gepäckträger, und wir fuhren ins Krankenhaus. Das Kind wurde bald behandelt und bekam jede Menge Spritzen. 45 Dollar musste ich bezahlen. Alles hatte wie ein großes Theater mit dem Dorfgericht angefangen, aber nun endete es für Richard und mich vor dem wirklich großen Gericht Gottes.“

Bei mir hätte die Frau es sicher viel schwerer gehabt. Manchen Menschen schenkt Gott aber Barmherzigkeit einfach so, andere müssen fies lange mit sich kämpfen. In der Bibel steht: Glücklich sind, die Frieden stiften, denn Gott wird sie seine Kinder nennen. Jerry gehört wohl schon zu denen. Und ich freue mich, solch einen Menschen zu kennen.

Peter Gohl[/columns]