Gerd Heydn im Gespräch mit Wilfried Elshoff
Vom Banker zum Diakon – das hat ja fast schon einen Hauch von Saulus, der zum Paulus wird. Ein krasser Umschwung in Ihrem Leben. Wie kam es dazu?
„Na, der Vergleich ist wohl ein wenig überzogen. Ein gläubiger Mensch war ich eigentlich von Kindes Beinen an, so auch in meinem Elternhaus katholisch erzogen. Ich glaube, ich war immer schon ein Suchender in meinem Leben. Und ich habe immer schon eine Glaubensverbundenheit, vielleicht auch einen besonderen Blick für das Seelenleben der Menschen in mir gespürt. Auch meine Eltern hätten für mich erkennen können, dass meine Liebe in den seelsorgerischen Bereich ging. Aber in einer Familie mit vier Kindern musste jeder Einzelne funktionieren. Der Einzelne zählte da nicht so sehr. Meine Familie ist damals mit dem Strom der Zeit geschwommen, Sicherheitsdenken war angesagt. Speziell bei der Berufswahl. Und in diesem Sinne hatte meine Mutter nach dem Abitur gesagt: Mach Banker! Sicherheit, Geld verdienen, etwas werden…“
Und so sind Sie dann in die ganz normale berufliche Laufbahn ‚hineingeschliddert‘, ohne es eigentlich wirklich zu wollen.
„Natürlich hätte ich mein Leben viel früher selbst in die Hand nehmen können. Das weiß ich heute. Aber ich bin in meinem Elternhaus nicht gerade zu einem selbstbewussten Menschen erzogen worden. Und so ein typischer Banker, wie man ihn ja kennt, war ich eigentlich auch nie. Stand für mich doch der Mensch auch als Banker immer im Mittelpunkt. Und trotzdem habe ich meinen Job – zumindest bis auf die letzten Jahre – gern gemacht. Eine schleichende Veränderung in meinem Berufsleben trat dann seit ca. 2005 ein, als sich die Arbeitsstrukturen hin zu einem Überbau an Controlling und dadurch auch das Arbeitsklima in unserer Bank veränderten. In der Endphase meiner Bank-Laufbahn fühlte ich fast täglich eine gewisse Ohnmacht und wusste nicht, wie ich den Arbeitstag hinter mich bringen sollte. Die Arbeit bestand zum damaligen Zeitpunkt zu rund 70 Prozent aus Administration und Systempflege. Dahinter stand, den Arbeitsplatz von Menschen austauschbar zu machen. Ich wollte aber als Mensch gefragt sein.“
Welche Rolle spielte Gott in dem schleichenden Prozess Ihrer Selbstfindung?
„Als ich immer stärker nach einer Lösung meines Problems suchte, wuchs mir auch mehr und mehr der Glaube als bewegende Kraft zu. Mein Glaube war über die Jahre ziemlich verflacht gewesen, der Kirche stand ich eher fern gegenüber. Eine schnelle Veränderung durch Gott verspürte ich nicht, obwohl ich mich doch intensiv im Gebet mit Gott befand. Die trat erst 2009 durch den Tod meines Schwagers mit 52 Jahren ein. Mein Schwager war konfessionslos, und daher sollte es für ihn auch keinen Priester zur Beerdigung geben. Das fand ich absolut würdelos. „Dann mach ich das!“, entschied ich in dieser Situation kurz entschlossen. Und bei der Beerdigungsfeier wurde mir schlagartig bewusst: „Das ist meine Berufung! Es fühlt sich richtig an. Ich war plötzlich ganz bei mir – und ich wusste: ich werde Diakon! Seelsorge ist der Grund, warum ich Diakon werden will. Aber ich wusste zu jenem Zeitpunkt gar nicht, was für Aufgaben ein Diakon überhaupt hat, geschweige denn, was er vorab alles lernen muss. Aber das war in dem Moment auch nicht wichtig für mich.“
Wie haben Sie dann Ihren Weg in diesen neuen beruflichen Lebensabschnitt eingeschlagen, Ihre eigentliche Berufung in die Tat umgesetzt?
„Mein Entschluss ist dann ein paar Monate gereift. Ende 2010 habe ich bei meiner Bank gekündigt, ohne Sicherheit für meinen neuen Lebensabschnitt. Wie ich erfahren musste, kann man Diakon eigentlich nur bis zum 50. Lebensjahr werden und muss neben der Ausbildung noch einen Zivilberuf ausüben. Diakon mit Zivilberuf ist das Berufsbild eben. Ich aber war schon im 51. Lebensjahr und hatte keinen Zivilberuf mehr. Also schrieb ich kurzentschlossen und frohen Mutes einen Brief an den damaligen Aachener Bischof Dr. Heinrich Mussinghoff, in dem ich meine Begeisterung und Freude für den seelsorglichen Dienst an den Menschen zum Ausdruck gebracht habe. Der Bischof antwortete dann auch sehr freundlich in einem persönlichen Brief, in dem er mich willkommen hieß ‚im Klub der Diakon-Anwärter bei so viel Begeisterung‘. Der Startschuss in mein neues Leben!“
Aber einen neuen Zivilberuf haben Sie nicht zusätzlich angenommen, oder kann man als Diakon auch seinen Lebensunterhalt verdienen?
„Nein, als Diakon mit Zivilberuf ist man im Bistum Aachen finanziell auf seinen Hauptberuf angewiesen. Ich erhalte für meine Tätigkeit eine kleine Unkostenpauschale. Aber finanziell hat sich schon vorab, aber auch durch entsprechende Abfindung der Commerzbank alles so gefügt, dass es passt. Daneben ist meine Frau Annette als Sekretärin beim Jüchener Bürgermeister Harald Zillekens tätig. Meine Frau ist mit einer ihr eigenen Selbstverständlichkeit ein gottgläubiger Mensch. Sie hat meine Entscheidung voll mitgetragen, also auch den Gehaltverzicht. ‚Wenn ich Dein Strahlen im Gesicht sehe, wenn Du über den Diakon sprichst, kann ich doch gar nicht anders als Deine Entscheidung mit zu tragen!‘ Diakon sein ist meine neue Aufgabe, mein Kind sozusagen. Ich möchte das jetzt auch leben, was ich predige. Ich versuche zumindest dem nahe zu kommen. Und wenn unser neuer Bischof Dr. Helmut Dieser den Diakonberuf wieder hin zur Hauptberuflichkeit öffnet, würde ich mich sehr freuen, mit ganzer Seele und all‘ meiner Zeit, also hauptberuflich mein Diakonenamt ausüben zu können. Bis heute hat Gott alles so gefügt, dass es für mich passt. Und es ist gut so!“
Ihre Visitenkarte ziert ein Spruch von Bernhard von Clairvaux, im 12. Jahrhundert Gründer einer Zisterzienser Abtei in Clairvaux/Frankreich: ‚Geh Deinem Gott entgegen bis zu Dir selbst!‘ Was bedeutet dieser Satz für Sie?
„Der sagt mir: Je mehr ich bei mir bin, je näher bin ich bei Gott. Ich nehme die neue Herausforderung an, bin in meinem neuen Leben als Diakon angekommen, mit all‘ meinen Unzulänglichkeiten. Jeder Mensch hat seine Macken. Die Berufung ist zu meinem Lebensinhalt und zu einer neuen Kraft geworden. Hier finde ich auch die Anerkennung, die vielleicht früher in meinem Elternhaus hier und da zu kurz gekommen ist. Heute bin ich wieder als Mensch gefragt, dafür bin ich Gott so dankbar! Als Diakon begegne ich Menschen hautnah beim ‚Bibel teilen‘, bei den Vorbereitungsgesprächen sowie anschließenden Taufen, Hochzeiten, aber auch Beerdigungen, in der Altenseelsorge und auch durch Predigten in diversen Gottesdiensten.“
Ihren Abschied als Bankkaufmann haben Sie nie bereut?
„Nein, ganz im Gegenteil. Zwei Jahre nach meiner Kündigung bei der Bank habe ich meinen ehemaligen Chef wiedergetroffen, der mir das Leben in meinen letzten Banker-Jahren nicht gerade einfach gemacht hat. Den Anlass habe ich genutzt, um mich ausdrücklich bei ihm zu bedanken, dass er eben genau so war, wie er damals in der Endphase zu mir war. Denn sonst hätte ich mir den Ausstieg vielleicht gar nicht zugetraut. Er hat meine Worte in meinem Sinne wohl verstanden, ohne dass es weiterer Erklärungen bedurft hätte. In meinem Leben habe ich eben gelernt, aus den negativen Verhaltensweisen oder Aussagen anderer Menschen die richtigen und positiven Schlüsse für mein Leben zu ziehen. Mein alter Chef hat mich also gestärkt auf meinem Weg.“
Ihre Vorstellung für Ihre persönliche Zukunft als Diakon?
„Für mich ist es wichtig, als Gesprächspartner in persönlichen Glaubensfragen und als überzeugendes Mitglied der katholischen Kirche wahrgenommen zu werden, für Menschen in Krisensituationen da zu sein und den Glauben als Hilfestellung und Kraftquelle für die Menschen zu vermitteln. Die Wurzeln für unseren Glauben liegen in der Bibel. Das haben wir Katholiken ein wenig aus den Augen verloren. Und mit Bezug auf die Bibel als Quelle unserer Geisteskraft müssen wir meines Erachtens neue Wege für die katholische Kirche finden. Die Zukunft wird vielmehr in kleinen christlichen Gemeinschaften in der Nachbarschaft liegen – mehr als in der großen traditionellen Kirchengemeinde. Wir müssen neue Netzwerke bilden, zum Beispiel in Form von einzelnen Bibelgesprächsgruppen, die sich über die herkömmliche Pfarrgemeindestruktur förmlich wie ein Netz verteilen. Unsere evangelischen Freunde in Kelzenberg sind da schon ein ganzes Stück weiter! Und Spiritualität und Seelsorge gehören für mich unbedingt zusammen. Spiritualität ist wichtig: Gott ist und bleibt Geheimnis. Gott ist die Kraft, die Chance für unser Leben. Gott ist nicht fassbar. Er bleibt ein Rätsel, ein Mysterium. Er entzieht sich unserer Verfügbarkeit. Das Geheimnis ist das, was Gott in seiner Weisheit ausmacht. In meinen persönlichen Krisensituationen war Jesus auf Anhieb auch nicht erkennbar für mich. Aber im Nachhinein, aus heutiger Sicht weiß ich, Jesus hat mich ganz konkret auf meinem Weg geführt. Heute erkenne ich das. Und ich spüre es mit einer großen Dankbarkeit!“