Gerd Heydn im Gespräch mit Schwester Mechtilde Berger

Welcher Grundgedanke steht hinter den Steyler Missionsschwestern?

„Der Missionsdienst. Die Freude am Glauben anderen weitergeben. Steyler Missionsschwestern, aktuell rund 3300, arbeiten zurzeit in 48 Ländern. Die Schwestern leben in Gemeinschaften, manchmal auch nur zu zweit. Gründer der Steyler Schwestern war 1889 Pater Arnold Janssen aus Goch am Niederrhein, der 2003 von Papst Johannes Paul II heiliggesprochen wurde. Schon 1875 hatte Janssen das Steyler Missionswerk mit einem Männerorden in einem ehemaligen Gasthaus begonnen, das er mit Spendengeldern erworben hatte. Mit den Steyler Anbetungsschwestern hat Arnold Janssen eine dritte Ordensgemeinschaft in Steyl ins Leben gerufen. Das Gebet stand in seiner Arbeit immer an erster Stelle.“

Wie sind Sie ins Kloster nach Steyl gekommen?

„Ich bin schon als Kind mit Steyler Zeitschriften in Berührung gekommen. Als neugierige Leseratte habe ich die Missionsberichte gerne gelesen. Bei uns zuhause wurde der Glaube gelebt, weniger darüber gesprochen, wohl aber gebetet. Der Glaube gehörte zu unserem Leben wie das Schwarzbrot auf den Tisch. Meine Entscheidung, ins Kloster gehen zu wollen, hat meine Mutter damals voll akzeptiert. Ich vergesse nie, wie sie sagte: ‘Ich kann Dir doch nicht vorschreiben, wie Du glücklich werden sollst!‘ Ich glaube, ich war mit 16 Jahren durch die harten Nachkriegsjahre reifer als viele andere in meinem Alter. Armut habe ich in der Nachkriegszeit schon als Kind erfahren. Der Klostereintritt war für mich kein Verzicht! Ich habe ja den Traum meines Lebens gefunden, das gewählt, was ich gewünscht habe, was für mich wichtig war, und hatte immer nur das eine Ziel vor Augen: Missionsschwester zu werden.“

Ihr Gelübde – Armut, Ehelosigkeit, Gehorsam – hat Sie in keiner Phase Ihres Lebens zweifeln lassen?

„Wie sich Armut ausdrückt, habe ich schon zuhause als Kind erfahren. Eine Ehe zu führen, hätte ich mir zwar durchaus vorstellen können, aber dieser Rahmen war mir zu eng. Gehorsam hat für viele etwas Schreckliches, Einengendes. Aber Gehorsam hat mit horchen zu tun: auf Gottes Stimme hören. Darum kann ich sagen: Ich habe im Gehorsam die Freiheit des Geistes gefunden. Diese Vorstellung von Freiheit hat einen Wert für mich, weil ich mein Leben selbst so gewählt habe. Ich habe mich nie gefragt, ob ich mich gegen wen oder was entschieden habe, sondern immer für wen oder was. Auf diesem Weg bin ich glücklich geworden, würde heute noch einmal den gleichen Weg einschlagen. Je älter ich werde, desto mehr bin ich davon überzeugt. In meinem Nachruf soll einmal stehen: ‚Das größte Glück meines Lebens war meine Berufung zur Steyler Missionsschwester‘.“

Und Sie haben so gar keine Bedürfnisse materieller Art?

„Ein Priester hat einmal zu Beginn eines Gottesdienstes die Frage gestellt: ‚Haben wir, was wir brauchen – und brauchen wir, was wir haben?‘ Ich kann mich doch an der Schönheit von so vielen Dingen erfreuen, muss sie aber nicht besitzen. Alles was ich anhabe, ist ‚second hand‘ erworben. Die Grundbedürfnisse der Schwestern in der Kommunität werden gedeckt, die Gemeinschaft sorgt dafür, gibt mir das, was ich brauche. Mein Gehalt als Lehrerin floss automatisch an die Gemeinschaft, auf das Konto unseres Hauses in Steyl.“

Sie müssen sich also überhaupt keine Sorgen machen…?

„Nein. Ich habe Kleidung, ich habe zu essen, um die Versicherung kümmert sich die Klosterverwaltung. Meine Reise durchs Leben ist wahrlich eine mit leichtem Gepäck! Ich kann uneingeschränkt dankbar auf mein Leben zurückschauen – dankbar gegenüber Gott und auch dankbar gegenüber unserer Gemeinschaft. Ich sage mir jetzt im Alter immer öfter: Pass auf, dass du nicht zu viel anhäufst. Lass los! Wenn ich mein Innerstes auf Gott ausrichte, dann bekommen alle Dinge ihren Wert – auch, dass ich sie nicht brauche.“

Was verstehen Sie unter Luxus?

„Wir leisten uns jeden Morgen um 6.30 Uhr den Luxus, Gott zu loben in Gebet und Gesang. Wenn mir das mal nicht passt, muss ich mich fragen, ob mit mir etwas nicht stimmt. Es gibt dem Tag eine geistliche Struktur, ein gutes Regelmaß, eine gute, gesunde Gewohnheit. Sie ist auch ein ständiges Einüben in die Gemeinschaft mit Gott. Und die muss man pflegen wie die in einer guten Ehe zwischen Mann und Frau. Da reicht es auch nicht, einmal im Jahr zu sagen: Ich liebe dich noch.“

Für Ihren Ordensgründer Arnold Janssen stand das Gebet immer an erster Stelle, haben Sie eingangs unseres Gespräches gesagt. Welche Rolle spielt das Gebet in Ihrem Verhältnis zu Gott?

Das steht auch bei mir an erster Stelle, ist Grundlage meines missionarischen Dienstes. Ich möchte meine Erfahrung im Gebet gerne mit Worten des dänischen Theologen und Philosophen Sören Kierkegaard ausdrücken. Kierkegaard schrieb: ‚Als mein Gebet immer andächtiger und innerlicher wurde, da hatte ich immer weniger und weniger zu sagen. Zuletzt wurde ich ganz still. Ich wurde, was womöglich ein größerer Gegensatz zum Reden ist, ich wurde ein Hörer. Ich meinte erst, Beten sei reden. Ich lernte aber, dass Beten nicht nur Schweigen ist, sondern Hören. So ist es: Beten heißt nicht, sich selbst reden hören, Beten heißt, still werden und still sein und warten bis der Betende Gott hört.“

Zu Jesus kommt eines Tages ein junger Mann mit der aufrichtigen Frage, wodurch er sich das ewige Leben erarbeiten könne. Als Jesus ihm sagt, dass er die Gebote halten soll, fragt er nochmal genauer nach: „Welche Gebote?“

Im Judentum hatte sich im Laufe einiger Jahrhunderte nämlich eine Heilslehre entwickelt, bei der eine große Fülle von Geboten, Ritualen und Verhaltensregeln das Leben der Menschen bestimmen sollte.

Jesus zählt ihm dann auf: „Du sollst nicht töten! Du sollst die Ehe nicht brechen! Du sollst nicht stehlen! Du sollst keine falschen Aussagen machen! Ehre Vater und Mutter! Und: Liebe deinen Mitmenschen wie dich selbst!“

Ich finde es erstaunlich, was der Mann dann antwortet: „Das alles habe ich befolgt. Was muss ich noch tun?“ Es ist erstaunlich aus zwei Gründen. Zum einen, mit welcher Selbstverständlichkeit er sagt, dass er diese Gebote gehalten hat. Zum anderen, dass er offensichtlich spürt, dass das, was er erreicht hat, noch nicht alles sein kann. Irgendwie spürt er, dass es noch mehr geben muss. Er lässt diese Empfindung zu und hofft jetzt, von Jesus darauf eine Antwort zu erhalten. Allerdings trifft es ihn hart, als Jesus ihm erklärt, auf welchem Weg er das Glück seines Lebens finden wird: „Wenn du vollkommen sein willst, geh los, verkaufe deinen Besitz und gib das Geld den Armen. So wirst du einen unverlierbaren Schatz im Himmel haben. Dann komm und folge mir!“ (Matth.19,16-22).

Woran hängt deine Sicherheit?

Diese wirklich herausfordernde Ansage ist nicht dadurch begründet, dass Jesus etwas gegen Reichtum oder gar gegen Reiche hätte. In der Bibel werden immer wieder Personen beschrieben, die durch Gottes Segnungen schwer reich geworden sind. Vielmehr geht es hier darum, dass das Herz dieses Mannes davon befreit wird, seine Sicherheit, sein Vertrauen auf den Reichtum zu setzen. Er ging betrübt von Jesus weg. Zumindest hier, in diesem Moment, war er noch nicht dazu bereit, sich von seinem Vermögen zu trennen.

Mercedes oder Panda?

Die Frage ist also nicht: Ist Geld gut oder schlecht, soll man besser reich oder arm sein, besitzen wir zu viel oder doch nicht genug, würde Jesus, wenn Er heute als Mensch auf der Erde wäre, einen Mercedes fahren oder doch eher einen Fiat Panda? Entscheidend ist letztlich, womit mein Herz, die zentrale Mitte meiner Persönlichkeit, ausgefüllt ist. Denn es ist eine Gesetzmäßigkeit: Das, was mich erfüllt, was mich fasziniert, was ich attraktiv finde und für wertvoll und wichtig halte, das hat Macht über mich. Was mein Herz erfüllt, wird ausschlaggebend dafür sein, in welche Richtung ich mich entwickele. Entscheidungen, die ich zu treffen habe, werden gesteuert sein von den Werten, die ich verinnerlicht habe.

Was ist deine Herzensache?

Wenn Jesus sagt: „Niemand kann gleichzeitig zwei Herren dienen! Entweder wird er den einen hassen und den anderen lieben. Oder er wird dem einen treu sein und den anderen verachten. Ihr könnt nicht gleichzeitig Gott und dem Geld dienen!“ (Matth. 6, 24), dann will er bewirken, dass wir Klarheit gewinnen darüber, was unser Herz ausfüllt und damit über uns bestimmt.  In dem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass Er hier von zwei Herren spricht, also dem Geld förmlich einen personalen Charakter zuschreibt. Dieser Herr, der hinter dem materialistischen Streben verborgen ist, wird nie Zufriedenheit bewirken, sondern immer weitere Wünsche erregen. Dabei ist es eigentlich unvernünftig, viel Zeit und Kraft in etwas zu investieren, was unter dem Strich unsere Lebensqualität nur geringfügig steigert. Wenn wir unser Leben vom Ende her überdenken, also vom Tod, kann das helfen, die Prioritäten heute richtig zu setzen.

Wenn Menschen in lebensbedrohliche Extremsituationen kommen, durch Krankheit oder Unfall plötzlich mit dem Tod konfrontiert werden, dann stellt sich für manche überraschend heraus, dass Dinge, die bis dahin so sehr wichtig schienen, auf einmal keine Bedeutung mehr haben: Das sportliche Auto, das schicke neue Bad, die Gehaltserhöhung, der berufliche Aufstieg, usw.

Was sich angesichts des Todes als wichtig enthüllt, was man gesagt oder nicht gesagt hat, wie man mit seinem Partner umgegangen ist, was man jetzt nicht mehr nachholen kann, die Erkenntnis, dass Beziehungen weitaus bedeutender sind als Besitz usw., das hat logischerweise also auch schon jetzt im Hier und Heute und ohne Lebensbedrohung höchste Priorität. Nur, dass es viel schwerer ist, angesichts einer Überfülle von verlockenden Angeboten zu diesen grundsätzlich sinnvollen Zusammenhängen durchzudringen.

Genau das wollte Jesus mit seiner radikalen Ansage an den jungen Mann bewirken: Setze heute deine Prioritäten so, dass sie die ewigen, unzerstörbaren Werte einschließen. Gott wartet sehnlichst darauf, dass wir mit Ihm in eine vertrauensvolle Beziehung kommen. In dieser Beziehung wird Er uns einen Glauben schenken, der bewirkt, dass wir die ewigen Werte bewusst und deutlich wahrnehmen können. Das wird materiellen Dingen den angemessenen Stellenwert geben. Dann werden sie dem Leben mit Gott nicht im Wege stehen.

Gerd Reschke

Jesus war definitiv Minimalist, hatte seine Prioritäten klar. Aber er hat auch gefeiert und gut gegessen, alles zu seiner Zeit. Und er war ein Beziehungsmensch.

In der Bergpredigt bringt er es auf den Punkt: „Häuft keine Schätze auf der Erde an – wo Motten und Würmer sie fressen und wo Diebe einbrechen und sie stehlen. Sondern häuft eure Schätze im Himmel an – wo weder Motten noch Würmer sie fressen und wo keine Diebe einbrechen und sie stehlen. Denn wo dein Schatz ist, da wird auch dein Herz sein.“ (Matth. 6, 19-21, BasisBibel)

Was ist Minimalismus?

Der Minimalismus von heute hat wenig mit der Bewegung der „Alternativen“ und Hippies in den 70er und 80er Jahren zu tun. Er ist hochgradig individuell, kommt oft aber nicht immer schick und ästhetisch daher. Auch jemand mit Tausenden von Büchern kann Minimalist sein. Jeder hat das, was er schätzt und braucht. Und das ändert sich in den vielen Jahren eines Lebens: Die Dinge und Bücher, die ich mit Zwanzig hatte (und die heute immer noch in meinem Leben sind und es verstopfen), entsprechen mir, meinen Interessen und meinem Lebensstil heute nicht mehr unbedingt. Ich sollte sie gehen lassen und Raum schaffen für Neues oder Nichts. Es geht im Kern um Selbsterkenntnis und Selbstbeschränkung in Zeiten des Überflusses, allgegenwärtigen Konsums und kaum vermeidbarer Reizüberflutung. Es gibt unter den heutigen Minimalisten viele Christen. In Deutschland wurde um die Jahrhundertwende mit der Simplify Your Life-Bewegung des Pastors Werner Tiki Küstenmacher eine große Welle losgetreten. Zuletzt hat Willow Creek Pastor Bill Hybels 2014 mit seinem Simplify-Buch alle Lebensbereiche unter die Lupe genommen, um Leuten zu einem guten und gesunden Leben zu verhelfen.

Was bringt Minimalismus?

Minimalismus befreit vor allem die Seele und das in mehrfacher Hinsicht: Eine Komponente ist das Ausbrechen aus dem Hamsterrad des Immer-Mehr-machen-und-haben-Müssens, des Materialismus und Konsumismus. Immer mehr arbeiten, um immer mehr konsumieren zu können, diese Gleichung mit ihren Variablen Angst, Burn Out und Depression möchten viele nicht mehr täglich lösen. Eine weitere Komponente ist das Lebensgefühl im Zuhause. Häuser und Wohnungen, die vollgestopft sind mit dem, was sich in vielen Jahren und Jahrzehnten angesammelt hat, nehmen einem die Luft zum Atmen, behindern Erholung, freie Entfaltung und Kreativität, weil sie negative Gefühle hervorrufen („Das Geschirr hat doch Uroma gehört. Ich finde es hässlich und benutze es nicht.“ – „Das war doch ein Geschenk, aber ich mag es gar nicht.“) und unendlich viel Zeit für Instandhaltung – konkret Aufräumen, Organisieren und Putzen – erfordern. Dann ist da der finanzielle Aspekt: Wenn man weniger Geld für ungeplanten Konsum und Spontankäufe ausgibt, hat man mehr für Dinge, die einem wirklich wichtig sind – wie Erlebnisse oder Reisen.

Die Schritte zum Minimalismus Entrümpeln:

Ein millionenfacher Megaseller ist das Buch der Japanerin Marie Kondo mit dem vielsagenden Titel „The Life-Changing Magic of Tidying“ oder auf Deutsch „Wie richtiges Aufräumen Ihr Leben verändert“. Marie Kondo war von Kindheit an fasziniert vom Ordnen und Organisieren. Irgendwann ist ihr klar geworden, dass Entrümpeln und Aussortieren der Schlüssel zu einem geordneten Leben ist – ein Zuviel lässt sich nicht ordnen. Ihr Credo ist: Aufräumen macht man einmal im Leben, dann herrscht für immer Ordnung. Sie geht dabei nicht Raum für Raum vor, sondern in Kategorien. Zum Beispiel trägt sie alle, ja wirklich alle Kleidung aus dem ganzen Haus auf einem Stapel zusammen. Erschreckend und überwältigend, was da zusammenkommt. Sie nimmt jedes Teil in die Hand und stellt die Frage, ob es Freude macht („Does this spark joy?“). Nur Kleidungsstücke, die Freude machen, in denen man sich gut, schön und wohl fühlt, dürfen bleiben. Es ist übrigens wissenschaftlich erwiesen, dass man nur 20 % seines Kleiderschrankes 80 % der Zeit trägt. Und so geht sie alle Kategorien des Besitzes durch wie Bücher und Unterlagen, sentimentale Erinnerungsstücke, Küchen- und andere Utensilien… Sie bedankt sich bei den Dingen, die sie gehen lässt (schon etwas schräg) und führt sie, wenn gut erhalten, neuer Nutzung zu (wohltätige Organisationen), so dass sie anderen Menschen vielleicht Freude machen können.

Organisieren:
Jedes Ding hat seinen Platz. So findet man es, wenn man es braucht und vermeidet Mehrfachkäufe.

Planen:
Was brauche ich, was wünsche ich mir? Wenn man Wünsche aufschreibt und sacken lässt, verschwinden viele nach ein paar Tagen. Spontankäufe, die sich als Fehlkäufe oder schlicht unnötig erweisen, werden minimiert. Dies ist auch wichtig für das Halten von Ordnung. Man kann zum Beispiel mit sich vereinbaren, dass für ein neues Teil ein altes gehen muss, um eine erneute Ansammlung zu vermeiden.

Lebensbereiche:
Bill Hybels geht das Thema noch ganzheitlicher an. In seinem Buch „Simplify“ untersucht er, wie man seine Energiereserven wieder auffüllt, seinen Kalender entmüllt, seine Finanzen ordnet, seine Berufung im Beruf findet, Vergebung lebt, Ängste überwindet, Beziehungskreise ordnet, Gottes Stimme wahrnimmt und neue Jahreszeiten im eigenen Leben willkommen heißt.

 

Kirstin Rappmund-Gerwers

Immer wenn ich bei Richard wohnte, kamen die Kranken, Behinderten und Armen zu mir so wie früher Menschen zu Jesus. Nur, ich kann niemanden heilen wie Jesus. Ich kann höchstens vertrösten.

2011 kam Mama Boketsu und zeigte mir Jean, ihren Enkel, der schreckliche Geschwülste am Kopf und auf dem Rücken hatte. Ich sollte ein Heilungs- oder Zauberwort sprechen oder besser noch: den Jungen mit nach Europa nehmen. Ich war total entsetzt und absolut hilflos. Als Richard aber meinte, dass der Doktor das operieren könne, wurde die Mama schlimm böse und schrie, dass die Leute beim Doktor nur sterben und der Junge da ganz sicher umgebracht werden würde. Es wurde heftig diskutiert. Doch als ich weg war, hat Richard den Jungen wohl heimlich entführt und in die „Klinik“ gebracht.

In Basankusu braucht man beim Operieren vor allem eine Taschenlampe aus China. Aber der gute Junge hat alles überlebt, und ich habe damals 350 $ gezahlt. Danach habe ich nichts mehr davon gehört.

Jetzt schrieb Richard, Jean sei zu ihm gekommen und hat ihm drei Eier gegeben. Ein Ei sollte er mir nach Europa schicken. Richard war wohl erst völlig verdutzt, wieso der ihm die Eier geben wollte, aber dann schob Jean sein Hemd hoch und zeigte ihm die riesige Narbe auf seinem Rücken.

Ich habe mich ja längst daran gewöhnt, dass viele Leute im Urwald nicht schnell mal eben Danke sagen wie wir Deutschen. Die können ihren Dank über Jahre im Herzen tragen, ohne ein Wort darüber zu verlieren. Sie würden aber immer zu mir stehen, wenn ich wieder nach Basankusu komme. Wir hier haben als Kinder gelernt, Danke zu sagen, selbst wenn wir nur ein Bonbon bekamen. Damit war das Bonbon dann aber auch abgegolten. Jean kam jetzt nach fünf Jahren zu Richard, um sich zu bedanken, und gab ihm die drei Eier, die er wahrscheinlich geklaut hatte. Er hat ja keine Eltern und haust bei seiner Oma.

Ich habe überlegt, dass wir hier versuchen, uns schnell gegenseitig selbst zu entschuldigen – und das oft sogar bei Christus. Aber kann man das denn überhaupt? 350 $ habe ich für Jeans OP bezahlt, und sein Dank waren jetzt drei kleine Eier. Damit ist doch überhaupt nichts abgegolten! Ob ich hier nun mit viel oder wenig Wasser getauft wurde und Danklieder singe oder auch mal Armen helfe, mein Dank gegen Jesus, der sich für mich kreuzigen ließ, ist ja immer noch viel ärmer als die drei Eier gegen 350 US-Dollar.

Jeder hat ja seine persönliche Art und Weise, aber ich möchte meinen Dank gegen Christus am Kreuz immer in meinem Herzen tragen, egal, was kommt – oder auch nicht kommt.

Peter Gohl