Bodo Beuscher im Gespräch mit Gerd Heydn

Gerd, ich erinnere mich noch gut, wo und wie wir uns das erste Mal getroffen haben. Wir waren 1992 auf Jugendfreizeit in Spanien, und du hattest die Wochen vorher bei den Olympischen Spielen in Barcelona als Journalist gearbeitet. Ich war richtig gespannt darauf, dich zu sehen. Da war ein Mann, dessen beide katholisch getaufte Töchter inzwischen intensiv in unserer Gemeinde mit lebten, dessen Frau, damals auch noch katholisch, immer wieder mal „schnupperte“, der selbst aber völlig auf Distanz blieb.

„Der Augenblick unserer Begegnung in Spanien war damals ja nur flüchtig und kurz für mich. Meine Frau hatte mich unmittelbar nach den Olympischen Spielen mit dem Auto abgeholt, weil wir in der Nähe von Barcelona Urlaub machen wollten. Die Autopapiere aber hatte unsere Tochter Tanja in der Tasche mit in die Jugendfreizeit genommen. Aus Angst um unsere Verkehrstüchtigkeit sind wir damals als erstes zu euch in die Finca Arenys gefahren und haben uns die Kfz-Papiere von Tanja geholt. Zu jenem Zeitpunkt waren meine Oberflächlichkeit in Glaubensfragen und die Distanz zur Kirche noch prägend in meinem Leben.“

Wie hast du das denn erlebt, wenn deine Töchter von ihrem Interesse am Christsein erzählten? Was hast du gedacht, wenn du mit bekamst, was sich in ihrem Leben änderte? Hast du – als guter Papa – zugehört? Hast du – als kritischer Papa – Bedenken gehabt? Hast du diskutiert?

„Anfangs, also Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre, war ich nur ärgerlich, wenn mir Tanja und Britta sonntagmorgens eröffneten, dass sie lieber zum Gottesdienst nach Kelzenberg wollten als mit mir gemütlich zu frühstücken. Zu jener Zeit war es für mich in meiner journalistischen Arbeit noch eine Kostbarkeit, den Sonntagmorgen mit meiner Familie zu verbringen. Als guter Papa habe ich meine Kinder zwar nicht gemaßregelt, aber mein Unmut war halt spürbar. Andererseits wurde mir bewusst, dass ihnen der Weg nach Kelzenberg wichtig war. Die tatsächlichen Veränderungen im Leben meiner Kinder habe ich erst etwas später zur Kenntnis genommen und hinterfragt. Was aber immer unmissverständlich bei mir rüberkam, war die Sorge meiner Kinder um das Seelenheil ihres Vaters. Irgendwann haben die Gespräche dann aus meiner Oberflächlichkeit zur Neugierde geführt. Und dann bin ich eines Sonntags mit nach Kelzenberg gefahren.“

Dein erster Eindruck?

„Die Schlichtheit der Kirche und der große Schriftzug über dem Altar: Er ist unser Friede. Der hat mich angemacht und tut es noch heute, wann immer ich in die Kirche komme. Dieser optische Eindruck und dann die erste Predigt, die ich von dir gehört habe, blieben im Kopf sitzen, auch wenn ich heute nicht mehr weiß, wovon du damals gesprochen hast. Haften geblieben ist mir aber, dass mich der Inhalt deiner Predigt überzeugt hatte – und nach mehr verlangte. Denn Überzeugungsarbeit war wichtig für meinen Kopf, und erst mal nur für den. Der Sprung vom Kopf zum Herzen folgte erst ganz allmählich.“

Und irgendwann hast du deine Distanz verlassen, hast angefangen zu hören, zu fragen, zu beobachten… War das nicht schwer für einen „gestandenen“ Mann um die Fünfzig, der einen eher stressreichen Beruf ausgeübt und mit vielen „coolen“ Leuten zu tun hatte?

„Als meine Neugier mal geweckt gewesen war, erschien es mir eigentlich nicht mehr schwer. Neugier und Beobachtungsgabe liegen ja in der Natur meines Berufes. Mein Nachholbedarf an Verständnisfragen und Bibelkenntnis war ja riesengroß, ist es im Grunde heute noch. Aber dafür habe ich in Kelzenberg immer wieder Menschen gefunden, angefangen bei dir und Gabi, später in meinen Hauskreisen, die ich heute gerne als meine persönliche geistliche Tankstelle bezeichnen möchte. Euer nimmermüder Einsatz und die Leidenschaft für die Lehre Jesu Christi haben letztlich auch einem hart gesottenen ‚Widerstandskämpfer‘ wie mir nicht nur den Kopf, sondern auch das Herz geöffnet. Was ich aber bis heute nicht gelernt habe, ist, mich gegenüber ‚coolen‘ Nicht-Christen als Christ zu outen. Diese Hemmschwelle habe ich leider noch immer nicht überwunden.“

Du hast dir ja für deinen Schritt ins Christsein Jahre Zeit gelassen. Dieses lange Nachdenken fand ich immer Klasse – bis du mir kurz vor deiner Taufe erzählt hast, dass du ja eigentlich schon als Kind eine Erfahrung mit Gott gemacht hattest, die sehr deutlich gewesen war.

„Ja, ich erinnere mich gut an Deine Worte: ‚Was für einen Hammer muss Gott denn noch auf dich loslassen. Was willst Du denn noch hören, bis Du endlich kapierst…?‘ Die Vorgeschichte: Als ich zehn Jahre war, musste meine Mutter an einem Gehirn-Tumor operiert werden. In der Nacht nach der OP rief das Krankenhaus an, wir sollten noch mal kommen – Abschied nehmen von meiner Mutter. Das überstieg meine Vorstellungskraft, das konnte – das durfte nicht sein. Und in solch einem Augenblick greift auch der vermeintlich Ungläubige nach dem Strohhalm, der da heißt: Gott. Der kleine Gerd suchte einen Vertrag mit diesem Gott zu schließen: Herr, wenn Du meine Mutter leben lässt, dann will ich auch an Dich glauben! Und Gott hat den Vertrag damals wohl ohne Einschränkung unterschrieben und im wahrsten Sinne des Wortes mit Leben gefüllt. Meine Mutter ist fast 94 Jahre alt geworden.“

Da wurdest du „aufgeweckt“, aber irgendwann hast du den Wecker wieder abgestellt?

„Ich habe den Wecker wohl immer wieder mit dem Kopfkissen erstickt, um mein altes Leben weiter so laufen zu lassen. Oberflächlich war so ein latentes Gefühl des Glaubens wohl in mir, nur offen und ehrlich habe ich mich nicht dazu bekannt, war ja nicht mehr in Not. In Notzeiten wie im Krieg erinnert man sich bekanntlich gerne an die – mögliche – Existenz eines Gottes, dann, wenn wir nicht mehr weiter wissen, wenn uns bewusst wird, dass wir eben nicht alles selbst in der Hand haben, unser aller Hiersein auf der Welt von Endlichkeit bestimmt ist. Gott hat wahrlich viel Geduld mit seinem ‚Vertragspartner‘ Gerd gehabt. 54 Jahre habe ich gezaudert, gezögert, gezweifelt, war interessierter, aber doch immer distanzierter Beobachter. Mir fehlten die geeigneten Anschieber, Bremser war ich mir über die Jahre selbst genug – bis meine Kinder anfingen, beharrlich an mir zu arbeiten.“

Vor kurzem bist du 70 Jahre alt geworden. Gilt für dich: Je älter, desto wacher?

„Ich hoffe, dass ich nicht noch mal sanft entschlummere. Mit 70, darf man ja sagen, biegt man allmählich in die Zielgerade seines Lebens ein. Und in diesem Alter haben sich auch die Richt-Werte meines Lebens in der täglichen Auslegung verschoben. So gesehen ist mir Gott heute näher als vielleicht noch vor zehn Jahren zu Zeiten meiner beruflichen ‚Ablenkung‘. Und die war wahrlich groß. Ich will sagen: Herr ich bin auf dem Wege zu Dir, aber der Weg erscheint mir immer noch weit. Das Gefühl kehrt immer mal wieder, das mich schreien lässt – ich komme nicht so recht vor-wärts. Und doch – ich denke, ich bin seit meiner Taufe bereit, mich bewegen zu lassen. Ich hoffe das jedenfalls inständig für mich selbst. In meiner ganz persönlichen täglichen Fürbitte sage ich: Herr, zeig mir den Weg zu Dir, lass mich Dich spüren, hören, füll mich ganz mit Dir und gib mir Deinen Frieden…“

Es ist früher Morgen, die Nachtluft ist noch kühl und feucht vom Tau. In den unbelebten Straßen sind zwei Menschen unterwegs. Der eine hat die Nacht durchgefeiert und wankt müde, angesäuselt und mit etwas verwaschener Orientierung nach Hause. In diesem Zustand hat er vor allem einen Wunsch: so schnell wie möglich ins Bett und nichts mehr hören und sehen. Der andere ist auf dem Weg zu seinem Job. Auch er ist müde und braucht noch ein bisschen Zeit, bis er hellwach und fit ist. Seine Perspektive jedoch ist auf den Tag gerichtet, der vor ihm liegt. Von außen betrachtet, befinden sich beide in einer Situation mit exakt den gleichen Bedingungen. Für beide ist es dunkel, beide spüren die Kühle der Nacht, beide sind müde. Doch von der Haltung, der inneren Ausrichtung her, unterscheiden sie sich gravierend voneinander. Der eine will sich schlafen legen und wenn er im Bett angekommen ist, interessiert ihn nicht mehr, was noch kommt oder um ihn herum geschieht. Der andere erwartet den vor ihm liegenden Tag. Er schmiedet Pläne, arbeitet in Gedanken durch, was auf ihn zukommt und ist schon ganz auf aktives Handeln ausgerichtet. 

Dieses schöne Bild aus einer Predigt von Pfarrer Bodo Beuscher (29. November 2015 – „Die Kirche wird zur Kathedrale“) beschreibt auf treffende Weise unsere Lage als Christen in dieser Welt.

In seinem Brief an die Christen in Rom schrieb Paulus vor fast 2000 Jahren die Worte: „Macht Ernst damit – und das erst recht, weil ihr wisst, was die Stunde geschlagen hat! Es ist Zeit für euch, aus dem Schlaf aufzuwachen. Denn unsere endgültige Rettung ist nahe; sie ist uns jetzt näher als damals, als wir zum Glauben kamen. Die Nacht geht zu Ende, bald ist es Tag. Deshalb wollen wir alles ablegen, was zur Finsternis gehört, und wollen uns mit den Waffen des Lichtes rüsten. Wir wollen so leben, wie es zum hellen Tag passt. Keine Sauf- und Fressgelage, keine sexuellen Ausschweifungen, keine Streitigkeiten und Rivalitäten! Lasst Jesus Christus, den Herrn, euer ganzes Leben bestimmen, und hätschelt nicht eure alte selbstsüchtige Natur, damit die Begierden keine Macht über euch gewinnen.“ (Röm.13, 11-13 Gute-Nachricht-Bibel) Der Schwerpunkt in diesem Text, sowie im ganzen Neuen Testament, liegt vor allem darin, dass unser Leben von Jesus als dem Herrscher geprägt wird. Er ist das Licht der Welt und unsere Beziehung zu Ihm macht uns zu Kindern des kommenden Tages.

Als Jesus Christus anfing zu predigen, war Sein großes Thema eine echte Herausforderung für die Zuhörer: Leute, ihr müsst mit eurem ganzen Leben eine totale Kursänderung machen, denn die Herrschaft Gottes ist jetzt angebrochen! Damals wie heute fragten sich die Leute natürlich: Hä, was soll das? Wovon spricht der da? Die Herrschaft Gottes? Was hat sich denn geändert? Es ist doch alles beim Alten geblieben: Noch immer werden Menschen grausam unterdrückt, noch immer sterben Menschen unschuldig, müssen Kinder verhungern und werden misshandelt. Noch immer gibt es Krankheiten, Kriege und Terror auf der Welt. Gottes Herrschaft? Ist doch lächerlich! Was soll das für ein Gott sein, der dabei zusieht und nicht eingreift!?! Diese Fragen sind so berechtigt und wichtig, dass sie es verdienen, sorgfältig durchdacht zu werden.

Ein paar Aspekte

Jesus hat nicht nur vom Reich Gottes gepredigt, sondern Seine Botschaft mit entsprechenden Aktionen glaubwürdig untermauert: Da wurden Blinde sehend, Lahme konnten gehen, Aussätzige wurden geheilt und Tote auferweckt. Er demonstrierte in Seinem Handeln die Macht Gottes. Im Neuen Testament findet sich eine Fülle von Berichten darüber, wie Jesus einzelne Schicksale bemerkt, aufsucht, wichtig nimmt und verändert, heilt und befreit. Diese Macht hat Jesus jedoch nicht eingesetzt, um damit politische Veränderungen herbeizuführen, sondern sie wirkte immer ganz individuell in die Nöte einzelner Menschen hinein.

Nächster Gesichtspunkt

Als Jesus verhaftet und vom römischen Provinzherrscher Pontius Pilatus vernommen wurde, sagte Er u.a.: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt, wenn mein Reich von dieser Welt wäre, würden meine Jünger dafür kämpfen (mit dem Schwert in der Hand)“. Ich verstehe diese Ansage so, dass die Herrschaft Gottes sich fundamental von allen Herrschaftssystemen in dieser Welt unterscheidet. Jesus hat nicht noch ein zusätzliches – und natürlich weil Er es ist, besseres – politisches System begründet, wo einer oder wenige durch Gesetze und Regeln der großen Masse sagen, was sie zu tun oder zu lassen haben. Seine Macht hat Jesus niemals dazu verwendet, Menschen zu zwingen, zu manipulieren oder einzuschüchtern. Sein Reich ist ein Reich des umfassenden Friedens, völlig gewaltfrei. Deshalb ist Sein Ansatz ein völlig anderer. Jesu Augenmerk ist auf unser Herz gerichtet, das sucht Er. Er möchte unser Herz erreichen, um es zu erneuern, zu verwandeln und mit neuem Leben zu erfüllen. Veränderte Menschen werden anders denken und handeln, weil sie von innen heraus neue Ziele haben, neue Werte, neue Maßstäbe.

Hier haben wir einen weiteren Aspekt: In einem Gespräch mit einem religiösen Führer sagt Jesus: Wenn ihr nicht von neuem geboren werdet, könnt ihr das Reich Gottes nicht sehen und nicht hinein kommen. (Joh.3) Das heißt also, wenn wir zulassen, dass Gott unser Herz erreichen darf, dann wird es so von Ihm erneuert und schöpferisch, kreativ verwandelt, dass Jesus hier treffend das Bild von der Geburt einführt. Ein verändertes, erneuertes Herz, neu geboren eben. In ein völlig neues Leben hinein geboren. Ein Leben, in dem die Herrschaft Gottes als reale und bestimmende Größe erkannt und total präsent wahrgenommen wird.

Beim „Vaterunser“ beten wir den Satz: „Dein Reich komme!“. Die Herrschaft Gottes soll sich festigen und ausbreiten in unserem persönlichen Leben, aber er bedeutet natürlich auch, dass Gottes Herrschaft sich hier in dieser Welt und sichtbar für alle Menschen manifestieren soll. Die Propheten und Jesus selbst haben mehrfach angekündigt, dass der Tag kommen wird, an dem Gott das Böse, alle Ungerechtigkeit und das Leid in dieser Welt endgültig beenden wird. Es wird ein neues Reich kommen, in dem Friede, Gerechtigkeit und Wahrheit regieren werden. Auch wenn wir als Christen noch in der Nacht dieser Welt unterwegs sind, sind wir doch schon Vorboten des kommenden Tages. In der Erwartung, dass Gottes Herrschaft in dieser Welt anbricht, ist es angemessen, Ihn heute schon herrschen zu lassen in unserem Leben. Man kann es auch umgekehrt formulieren: Wenn wir Seine Herrschaft in unserem Leben zulassen, wird die Hoffnung auf Sein kommendes Reich ständig gefüttert und immer stärker werden. Unsere Perspektive ist ausgerichtet auf den neuen Tag, in dem Er als alleiniger Herrscher regieren wird zum Wohl für die ganze Menschheit. Einer von den großen Propheten formulierte schon vor fast 3000 Jahren eine Ansage, deren herausfordernde Wirkung bis heute ungebrochen gültig ist: Mache dich auf und werde Licht, denn dein Licht kommt und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir! (Jes.60,1)

Gerd Reschke

Dominik Hille verbrachte eine einjährige Auszeit in Tabgha am Nordwestufer des Sees Genezareth, Israel, um dort in einer Jugend- und Behindertenbegegnungsstätte zu arbeiten.

Das Leben ist wie ein Weg. Mal verläuft es geradlinig auf angenehmen Pfaden. Du fühlst dich wohl. Wenn du dich ein bisschen anstrengst, kannst du sogar schon dein Ziel erkennen. Es scheint zum Greifen nahe. Immer wieder triffst du Wegbegleiter, die dich ein Stück begleiten; dir deinen Weg erleichtern. Und dann gibt es jene Momente, in denen sich das Leben für einen Abstecher entscheidet. Es verlässt den gemütlichen, sicheren, komfortablen Weg und schickt uns auf den steinigen, manchmal mühseligen Pfad. Es fordert uns heraus. Ungewissheit bleibt zurück. Unser Ziel sehen wir vielleicht nicht mehr direkt. Es ist noch nicht allzu lange her, da hat sich mein Leben für genau einen solchen Abstecher entschieden.

Nach langer Zeit des Studiums und einer intensiven Zeit im Referendariat machte sich in mir eine Unruhe breit. Ich war mir plötzlich nicht mehr sicher, ob mein Ziel noch klar erkennbar war. Ich hatte das Gefühl, nicht mehr unterwegs zu sein; auf der Stelle zu verharren. Ich wusste, so kann es nicht weitergehen. Ich entschied mich also für den Abstecher. Runter vom geraden gemütlichen Weg, rein ins Wagnis. Ich wollte mich auf einen neuen Weg in meinem Leben einlassen. Dieser neue Weg, den ich konkret im Januar 2015 einschlug und auf dem ich die nächsten 14 Monate wandeln sollte, führte mich schließlich ins Heilige Land, genauer gesagt nach Tabgha, an das Nordwestufer des See Genezareth in Galiläa. An diesem Ort befindet sich die berühmte Brotvermehrungskirche, die in ihrer jetzigen Gestalt seit 1982 besteht. Sie soll an die wundersame Brot- und Fischvermehrung (Speisung der 5000) erinnern. Seit 1939 wird die Brotvermehrungskirche durch eine deutschsprachige Benediktinergemeinschaft als Priorat (Konvent) betreut. Deren Abteikirche, die Dormitio, befindet sich auf dem Jerusalemer Zionsberg. Während der gesamten Gemeinschaft insgesamt 23 Mönche angehören, leben in Tabgha gerade mal sechs von ihnen.

Das Besondere, das mich an Tabgha fasziniert ist nicht etwa seine Berühmtheit als Ort vieler Wundertaten Jesu, sondern die Vision der dort lebenden Mönche. Nach dem Vorbild der Hingabe Jesu für jeden einzelnen Menschen schuf die Gemeinschaft in den 80er Jahren auf ihrem weitläufigen Klostergelände selbst einen Ort „gelebter“ Nächstenliebe, die Behinderten- und Jugendbegegnungsstätte Beit Noah.

Besonders Menschen, die Wunden aus misslungenem Miteinander und gewaltsamem Gegeneinander von Menschen davongetragen haben, kommen als Gäste ins Beit Noah. Konkret sind das vor allem Kinder und Jugendliche, die Opfer des israelisch-palästinensischen Konfliktes geworden sind und deswegen durch körperliche Behinderungen gekennzeichnet sind. Neben diesen Gästen kommen zudem Kinder und Jugendliche mit geistigen Behinderungen, für die in der palästinensischen Gesellschaft kein Platz zu sein scheint.

Die Vision des Beit Noah, eine Arche für alle Menschen, gleich welcher Religion oder Herkunft zu sein, ist für mich das beste Beispiel für gelebte Nächstenliebe. Dieser Ort war es, der mich an einer Auszeit in Israel reizte.

Das Leben in Tabgha
Mein Leben in Tabgha war durchweg sehr spannend. Lebte ich in Deutschland alleine in meiner Mietwohnung im schönen und sicheren Aachen, so war ich nun plötzlich Teil einer größeren Gemeinschaft, der „Tabgha Family“, wie sie liebevoll von allen Beteiligten genannt wird. Zu den sechs bereits genannten Mönchen (allesamt zwischen 40 und 80) gesellten sich noch die Gemeinschaft der philippinischen Schwestern, unsere arabischen Mitarbeiter aus Küche, Verwaltung, Pilgerladen und unser deutschsprachiger Hausmeister Nizar, der in diesem ganzen Sprachenwirrwarr oft ein Segen war. Neben den Angestellten gab es schließlich noch uns Volontäre. Insgesamt zu siebt waren wir für den reibungslosen Ablauf der Begegnungsstätte zuständig.

Unsere Hauptaufgabe bestand vor allem darin, Beit Noah für die Besucher vorzubereiten und als Kontaktvolontäre für die Gruppen zur Verfügung zu stehen. Da das Beit Noah ein Selbstversorgerhaus ist, steht den Gästen ein kleiner Lebensmittelladen zur Verfügung, der ebenfalls durch uns betreut wurde.

Auch die Pflege der Außenanlage gehörte zu unserem Aufgabenbereich. So stieg ich mitunter zur Ernte auf meterhohe Dattelpalmen, kämpfte mich durch dichte Mangoplantagen und verarbeitete frisch gepflückte Oliven. In meiner Zeit verwirklichten wir darüber hinaus noch unser Großprojekt – den Bau einer Minigolf-Anlage. An zwei Tagen der Woche arbeitete ich zusätzlich im Pilgerladen. Die Arbeit hier hat mir besonderen Spaß gemacht. Da Tabgha und der See Genezareth ein sehr beliebtes Ausflugsziel sind, kommen täglich viele Touristen, um die Brotvermehrungskirche zu besuchen. Oft schauen diese dabei auch im Laden vorbei. Während meiner Arbeit im Laden kam es daher häufig zu sehr interessanten Begegnungen. Eins wurde mir in Tabgha schnell klar: Es gibt immer viel zu tun und kein Tag gleicht dem anderen.

Neben diesen Aufgaben blieb jedoch auch viel Zeit, um in Kontakt mit den Gruppen zu kommen. Nicht selten traf man sich abends zu gemeinsamen Grillabenden, saß gemütlich am Lagerfeuer und tauschte sich gegenseitig aus.

Es waren genau diese Begegnungen und Gespräche mit den zahlreichen Gruppen und Gästen, aber auch das Leben in der Gemeinschaft, welche das Jahr zu einem unglaublich wertvollen gemacht haben. Lohnt es sich, den eingeschlagenen Weg zu verlassen und sich auf einen Abstecher im Leben einzulassen? Diese Frage kann ich nur mit einem kräftigen Ja untermauern. Ich habe in diesem Jahr nicht nur neue Freunde kennengelernt, die Liebe zu diesem „verrückten“ Land entdeckt, sondern auch mein Ziel vor Augen zurückgewonnen. In diesem Sinne, Shalom oder Salam, wie man hier zu sagen pflegt.

Dominik Hille

Ich wollte mir etwas Gutes tun,
So fuhr ich ins Kloster, um auszuruhn.
Ich wollt auch was lernen, wirklich wahr,
Ein Seminar für den Körper wär wunderbar.

Im Kloster war ich schnell angekommen,
Dachte mein Kopf hätte das auch wahrgenommen.
Aber der lief noch, wollte funktionieren,
Wollte den Körper, nicht den ganzen Mensch trainieren.

Ich entdeckte Eigenfarben, langsames Gehen,
Bewusstes Wahrnehmen, präsentes Stehen.
Lernte vielschichtige Menschen und Rituale kennen
Und war innerlich immer noch am „Rennen“.

Es verging Stund um Stund und mancher Tag,
Ich lernte viel und dennoch blieb eine Frag:
Wird Jesus hier im Kloster mit mir reden?
Greift er in mein Netz aus Überzeugungsfäden?

Und dann eines Morgens auf dem Weg um den Teich,
Begegnet mir eine Schnecke nackt und schleimreich.
Ich hüpfe drüber, fühl mich von ihr gestört
Diese Nacktschnecken, überall, unerhört.

Und immer noch warte ich auf seine Stimme,
Bin schnell unterwegs, funktioniere wie immer.
Hab kaum Zeit auf ihn zu lauschen, zu hören,
Da beginnt er mich morgens erneut zu stören.

Wach auf, sagt er, schau mal ganz genau hin.
Das hab ich eigentlich für dich im Sinn.
Die Nacktschnecke gestern, hat dich gestört.
Hast du mich da noch nicht gehört?

Dann wird heut auf der Strecke um das Gewässer,
Mein Reden mit dir deutlicher und besser.
Ich sorg für ne Schnecke am gleichen Ort,
Ne richtig schöne, nimm mich beim Wort.

Und da sitzt sie am gleichen Flecke,
Keine hässliche, nackte Schnecke.
Im Gegenteil, sie ist wunderschön,
Mit dem großen Haus schön anzusehen.

Plötzlich spür ich tief in mir,
Jetzt gerade: Gott ist hier.
Er redet mit mir, weckt mich auf,
Sorgt für mich in meinem Lebenslauf.

Diese Schnecken so wird mir klar,
Sind Gottes Reden, wunderbar.
Ich darf Langsamkeit entdecken,
Er macht mir Mut, will mich wecken.

Ich muss nicht immer funktionieren,
Mich in Verantwortungsgefühlen verlieren.
Darf auf mich achten, mich lieben, mich sehen,
Langsamer an Jesu Hand durch das Leben gehen.

Maren Menk

Im Kongo gibt es keine Bild-Zeitung, sonst würde Sarahs Geschichte sicher auch darin stehen.

Sarahs Eltern starben beide, als sie noch ein Baby war. Eine Tante nahm das Kind auf und versorgte es wie ein eigenes. Die Tante war aber auch sehr arm, und als sie krank wurde, war kein Geld für eine Behandlung da. Irgendwann ist sie dann wohl gestorben.

Eine Freundin von Sarahs Tante, kümmerte sich dann um das Mädchen. Aber nach einiger Zeit bekam sie Malaria. Fünf Tage lang versuchte man ihr mit Homöopathie oder Zaubermitteln zu helfen. Am sechsten Tag brachte man sie ins Krankenhaus, wo sie dann gestorben ist. Ihr letztes Wort war: „Sarah hat ein Ndoki! Der Geist in ihr tötet alle. Sie hat ihre Eltern getötet, und dann ihre Tante, und jetzt bin ich dran.“

In der Nacht fingen die Leute bei der Trauerfeier an, Sarah zu beschimpfen und dann auch zu schlagen. Sie hätten sie totgeschlagen, wenn nicht ein paar kräftige Jungs gekommen wären und sie gerettet hätten. Aber die brachten sie anschließend zum Chef der berüchtigten Kuluma-Bande.

Der vergewaltigte sie, und sie wurde schwanger, als sie eben 16 Jahre alt war. Irgendwann konnte sie fliehen und lebte – wie so viele Mädchen dort – auf der Straße. Als die Wehen eintraten, versteckte sie sich in einem Verschlag, in dem man sich sonst wäscht. Ihr Gejammer weckte die Hausbesitzerin, eine Krankenschwester, die ihr auch half. Zwei Wochen lang lebte Sarah mit ihrem Baby in Frieden bei dieser Schwester, aber dann kam eine der Frauen, die auf sie eingeprügelt hatten, und erzählte Sarahs ganze Ndoki-Geschichte und wie gefährlich Sarah sei.

Vor lauter Angst warf die Schwester Sarah samt Ndoki und Baby aus dem Haus. Wieder war sie auf der Straße, mit Baby, drei Wochen lang. Dann kam eine gute Nachricht (Evangelium). Jemand erzählte ihr von einem Ehepaar, das schon mal Waisenkinder aufgenommen und ein Herz wie Jesus hätte.

Dieses Ehepaar nahm sich tatsächlich der beiden an, und das Kind bekam erst mal einen Namen – Ivette.

Sarahs Problem war, dass sie kaum Milch für ihr Baby hatte. Man musste Milchpulver kaufen, sonst brüllt klein Ivette die ganze Nacht und niemand kriegt ein Auge zu. Aber Milchpulver ist da auf Dauer teuer.

Wenn irgendwo auf der Welt Menschen ein Herz wie Jesus haben, sind die mehr wert als alle Entwicklungshilfe. Sie sind Licht – mitten in der Nacht. Ein Herz wie Jesus überwindet alle finsteren Geister. Es ist einfach nur Geschenk und nicht zu kopieren. Egal mit welcher Konfession, das Evangelium der Barmherzigkeit ist echt weit gekommen.

Peter Gohl