Gerd Heydn im Gespräch mit Franziska Köcher
Warum wollen Sie Ihren schönen Beruf als Hebamme aufgeben und einen neuen beruflichen Weg einschlagen?
„Ich sehe langfristig leider keine Perspektive mehr als Hebamme. Es gibt nur noch einen Versicherer für die Berufshaftpflichtversicherung von Hebammen, und das aktuell auch nur noch bis zum 30. Juni 2016. Das kommt einem Berufsverbot für einen der ältesten Berufe der Weltgeschichte gleich, da eine freiberufliche Hebamme nicht ohne Versicherung arbeiten darf. Schon in der Bibel gab es Hebammen (s. 2. Mose 1,15), die unter Gottes Schutz von Anfang an für das neue Leben und Schwächere eintraten. Bis heute hat sich leider – und vermutlich auch gerade deshalb – nichts an ihrem schweren Stand geändert. In den vergangenen zehn Jahren stieg u.a. die Klagebereitschaft im Gesundheitswesen auch gegenüber Hebammen massiv an, so dass immer mehr Versicherer ausgestiegen und/oder die Versicherungsprämien immer höher gestiegen sind – auf fast 500 Euro im Monat. Dazu kommt, dass ich von meinem Verdienst leben können muss, und das ist mit weniger als 8 Euro Brutto pro Stunde nicht möglich. Ab 1. Juli 2016 wird es nach aktuellem Stand keine Versicherung mehr geben – und mit gleichem Datum werde ich Diakonin!“
Wie hat die sich anbahnende berufliche Krise Ihr Leben verändert?
„Im Frühjahr 2014 war ich völlig mit meinen Kräften am Ende. Ich erlitt einen Hörsturz, bekam ein Burnout-Syndrom und fiel in tiefe Depressionen. Schon der Gang zum Briefkasten türmte sich als kaum lösbare Tagesaufgabe vor mir auf. Nach Schließung der Praxis fiel sehr viel Ballast von mir ab. Ich hatte vorher an sieben Tagen und oft mehr als 60 Stunden in der Woche gearbeitet, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Warnsignale meines Körpers habe ich übersehen und in keinster Weise auf mich selbst geachtet. Selbstfürsorge kannte ich damals nicht – heute ja. Als Christ denkt man ja immer: Ich muss helfen! Ich habe sechs Monate lang gar kein Geld verdient und muss bis heute meine Rücklagen angreifen. Seit einem Jahr gehe ich jetzt neben meiner Diakonen-Ausbildung einer eingeschränkten Hebammen-Tätigkeit nach, suche täglich nach für mich möglichen Arbeitsfeldern als Hebamme in Praxen, Kurs-Institutionen oder Beratungsstellen.“
Und in wie weit hat diese Krise Ihr Glaubensleben tangiert?
„Heute weiß ich – ich musste durch diese Krise durch, so heftig sie auch war. Jesus war die ganze Zeit
da! Es hatte wohl alles seinen Sinn. Das sehe ich im Augenblick jeden Tag. Die Krise hat mich auf den Weg zu mir selbst und gleichzeitig noch mal näher zu Jesus gebracht. Das finde ich total cool und bin Gott dafür sehr dankbar. Es müssen aber nicht immer Krisen oder heftige Dinge im Leben passieren. Zu einem entscheidenden Datum in meinem Leben wurde der 10. Februar 2011, der Abschluss meines Glaubenskurses hier in Kelzenberg. Da habe ich noch einmal bewusst aus vollem Herzen gesagt: Jesus, mit Dir an der Seite möchte ich durchs Leben gehen. Seitdem spüre ich eine lebendige Verbindung zu Jesus und meine, den Sinn meines Lebens zu erkennen. Allerdings ist mein Leben dadurch auch echt anstrengender geworden. Mein Glaube bewirkt, dass ich jetzt aktiver auf meinem Lebensweg unterwegs bin. Ich bin aus meinen passiven Lebensstrukturen raus, treffe heute mehr bewusste Entscheidungen und suche Veränderungen in meinem Leben immer in dem Wissen, dass Gott da ist.“
Hatten Sie früher noch keine Jesus-Beziehung?
„Nicht bewusst. Meine Eltern und Großeltern haben mir den Glauben vorgelebt – allerdings mit wenig persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten. Als ich in meiner Zeit als Jugendmitarbeiterin mit anderen etwas verändern wollte, sind wir gescheitert. Mit ungefähr 25 Jahren stellte ich fest: Meine bisherige Gemeinde mit ihren sehr an Traditionen gebundenen Strukturen passt nicht mehr zu mir. Unbewusst machte ich mich damals schon auf die Suche nach einer neuen Gemeinde und kam – wie ich es heute sehe – nicht durch Zufall nach Kelzenberg. Hier gibt es ein buntes Leben – so wie Gemeinde sein sollte – mit Jesus als Kopf. Die Gemeinde Kelzenberg könnte durchaus Vorbildcharakter für meine zukünftige Arbeit als Diakonin haben.“
Zum Beispiel…
„Gemeinden sollten sich grundsätzlich die Frage stellen: Wo möchten sie in Zukunft hin? Möchte Kirche heute überhaupt noch Menschen erreichen und zeigen, wer Gott wirklich ist? Wenn ja, sollten die Gemeinden losgehen – dorthin, wo die Menschen sind und nicht darauf warten, dass die Menschen in die Kirche kommen. Ein guter Anfang sind zum Beispiel Aktionen in der Flüchtlingshilfe oder bei Stadtfesten. Weg ist Bewegung. Es tun sich dann auch ganz viele Neuanfänge auf, wenn ich mich aktiv auf den Weg mache – und dann kann auch Jesus etwas bei mir persönlich bewirken. Nicht umsonst sagt Jesus: ‚Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben!‘ Ich möchte als Diakonin diese verlässliche Wahrheit, die Jesus ist, ganz vielen Menschen nahe bringen mit einer lebendigen Gemeinde im Rücken. Ich wünsche mir eine Gemeinde, in und mit der sich die Menschen identifizieren können und keine kalten Kirchenmauern. Ich bin gerne Wegbereiter für andere Menschen, bei denen ich spüre, da kann ich etwas bewegen. Ich freue mich aber auch selbst über Wegbegleiter, die mich auf meinem Weg neu ausrichten und für mich da sind. Für solche Menschen bin ich sehr dankbar.“
Was hat Sie letztlich in die berufliche Richtung einer Diakonin gelenkt?
„Schon vor drei Jahren habe ich gespürt, ich soll Diakonin werden. Ich habe viel gebetet und auch mit zahlreichen Leuten darüber gesprochen. Die Voraussetzungen der rheinischen Landeskirche für die zweijährige theologische Ausbildung im Turbodurchgang habe ich mit meinem Sozialberuf als Krankenschwester erfüllt. Fächer wie zum Beispiel Altes und Neues Testament, Gemeindeaufbau, Seelsorge, Religionspädagogik und Predigt-Lehre gehören dazu. Ab Herbst gehe ich auf Stellensuche. Dann bin ich gespannt, auf welchen Weg mich Gott schicken wird. Diakoninnen und Diakone werden von der evangelischen Landeskirche finanziert und in verschiedenen Bereichen der Kirchengemeinden eingesetzt. Wenn ich in diesem Jahr die Kelzenberger Jugend-Freizeit als Betreuerin begleite, dann ist das schon eine Art Praktikum für meine zukünftige berufliche Tätigkeit.“
Hat Gott Ihnen auch einmal drastisch vor Augen geführt, dass er der Herr Ihres Lebens ist?
„Ja, das kann man wohl sagen. Das war im Sommer 2012 in einem Wäldchen nahe der Ostsee. Ich stand unter einer Buche und dachte über mein Leben nach, als ein dicker Ast herunter krachte. Mit einem Riesensatz brachte ich mich in Sicherheit. Seitdem habe ich nie mehr mit dem Gedanken gespielt, auch freiwillig aus dem Leben zu scheiden. Sollte mir sagen: Gott allein bestimmt den Zeitpunkt in meinem Leben, in welcher Situation auch immer.“
In Ihrer Freizeit machen Sie Musik, spielen in Solingen in einem Orchester und leiten ‚Klassik Kelz‘ in unserer Gemeinde. Was bedeutet Ihnen Musik?
„Musik kann ich aus meinem Leben gar nicht weg denken. Wenn ich Musik mache, geht es mir gut. Musik ist geradezu heilsam für mich. Sie verbindet Menschen, öffnet Herzen. In meine künftige Tätigkeit als Diakonin möchte ich Musik deshalb unbedingt in der Jugendarbeit mit einbringen.“