Gerd Heydn im Gespräch mit Jürgen Werth
Wenn man durch Ihre Vita blättert, stößt man in vielen Lebensabschnitten immer wieder auf das Wörtchen „eigentlich“ – eigentlich wollten Sie immer etwas anderes. Wie kam das denn?
„Ja, ich wollte in der Tat eigentlich ursprünglich immer etwas anderes. Eigentlich wollte ich zuerst einen beruflichen Weg bei der Stadtverwaltung einschlagen, dann hatte ich ein Theologie-Studium vor Augen, und als ich schon auf dem Sprung war zur evangelischen Kirchenzeitung „Unsere Kirche“ in Bielefeld, hatte ich eines Tages eine Anfrage vom Evangeliums Rundfunk aus Wetzlar im Briefkasten. Eigentlich wollte ich später immer mal wieder weg vom ERF, und eigentlich wollte ich nie Chefredakteur, geschweige denn Direktor beim ERF werden. Eigentlich…“
Wer oder was hat Ihnen die geplante Tour denn jedes Mal vermasselt?
„Da war dieser liebevolle, geduldige, einfühlsame, aber doch so konsequente Gott. Der zog, drängte und lockte mich, bis er mich immer da hatte, wo er mich haben wollte. Als ich dann mit 22 Jahren von Lüdenscheid weg bin zum ERF nach Wetzlar, war das ein Gefühl für mich, als wenn man heiratet. Das ist ein Gefühl, ein innerlicher Prozess, der nie zu Ende geht – wie in jeder guten Beziehung.“
Wodurch wurde diese Art Glücksgefühl denn bei Ihnen ausgelöst?
„Meine Eltern waren keine Christen. Über den CVJM bin ich mit sieben Jahren in Lüdenscheid mit dem christlichen Glauben in Berührung gekommen. Ich hatte das Glück mit einem tollen Pfarrer, der viel dazu beigetragen hat, dass die Konfirmation zu einem wichtigen Ereignis in meinem Leben wurde. Mit meiner Konfirmation habe ich bei Jesus festgemacht. Das war Mitte der 60er Jahre, der Zeit der Protestsongs in der Musik. Von Freunden wurde ich animiert, Lieder über den Glauben zu schreiben. Mit 16 habe ich erste Texte und Melodien zu Glaubensthemen geschrieben, habe mich dabei mit Akkordeon begleitet, später mit Gitarre. Eine Weichenstellung für mein weiteres Leben.“
Wie sehen Sie, wie erleben Sie das Leben, das Ihnen Gott geschenkt hat?
„Was in Gott vorgeht, werden wir ja nie erfahren. Aber Gott hat nicht die Schöpfung gemacht – und dann aufgehört. Er hat nie aufgehört kreativ zu sein. Jeden Tag erfindet Gott das Leben neu. Lebensgeschichte – für jeden von uns – ist auch immer wieder Schöpfungsgeschichte, hat mir einmal ein Freund gesagt. Das sollten wir begreifen und uns entscheiden, ob wir unser Leben in diesem Sinne ausrichten wollen.“
Wie sehen Sie heute im Alter als Un-ruheständler Ihr Verhältnis zu Gott?
„Jesus ist immer mit mir unterwegs. Für Gott gibt es kein Gestern-Heute-Morgen. Gott steht über unserer Zeit. Gottes Wahrheit mag uns oft widersprüchlich erscheinen. Aber Gott respektiert uns als Gegenüber. Wir sind keine Computer-Figuren für ihn, die er programmiert hat. Wir sind freie Menschen. Ich glaube nicht, dass Gott nur festgelegte Gleise für uns hat. Was sich nicht ändert, ist Gottes Liebe zu uns. Ich empfinde heute, dass Gottes Barmherzigkeit für mich größer geworden ist. Ich tue heute das, was mir liegt, was Spaß macht und was anderen Menschen weiterhilft im Leben und im Glauben. Also Schreiben, Predigen, Singen.“
Was meinen Sie denn, was Gott von Ihnen noch erwartet?
„Ich weiß, Jesus ist da. Ich kann ihm sagen, was ich fühle und denke. Und ich bin gern mit ihm unterwegs, weil ich weiß, er meint es gut mit mir. Er ist barmherzig mit mir. Und er will, dass ich barmherzig mit anderen Menschen umgehe – und mit mir selbst, was manchmal am schwersten ist! Mir liegt am Herzen, dass Menschen versöhnlich aufeinander zugehen. Jeder zieht sich nur allzu gerne in seine eigenen Überzeugungen zurück. Wir Christen aber sollten aufeinander zugehen, aufeinander hören. Ich wünsche mir Christen, die zu Brückenbauern werden, weil sie an einen Gott glauben, der selbst der größte Brückenbauer ist. Versöhnung ist irgendwie mein Lebensthema geworden. Da sitzt man manchmal zwischen den Stühlen, aber das scheint inzwischen ein Ehrenplatz geworden zu sein.“
Ihr jüngstes Buch heißt ‚…und immer ist noch Luft nach oben! Entdeckungen beim Älterwerden‘. Welche Entdeckungen geben Sie dem Leser denn mit auf den Weg?
„Ich sage: Leinen los und leben! Im Alter ist man doch nicht mehr so angebunden. Also, loslassen und freier werden für das Neue, das vor einem liegt, das Neue, das Gott für mich bereit hält – auch noch oder gerade im Alter.“
Sie reisen regelmäßig nach Israel. Warum?
„Ja, seit 1975 reise ich nach Israel, oft zwei Mal im Jahr, in das Land, in dem Gott Geschichte geschrieben hat. Dort erlebt man auf Schritt und Tritt Begegnungen mit der Bibel. Und diese Begegnungen geben mir etwas für meinen eigenen Glauben, fürs Bibellesen, für Predigten. Das Land ist das fünfte Evangelium für mich, das Gott sozusagen in die Landschaft geschrieben hat. Hier bekomme ich immer wieder neue Impulse.“